Sonntag, 19. November 2017

Vigilanzstörungen

„Also“, sagte der frischgebackene Neurologe, dessen Oberen ihn am Abend in der Notaufnahme alleine zurückgelassen hatten, „ich habe jetzt diesen Patienten so neurologisch untersucht. Und ich finde aber keine neurologische Ursache für seine allgemeine Verlangsamung und Müdigkeit. Vielleicht hat er ja ein internistisches Problem?“
„Uh“, sagte ich und blätterte durch die 20 seitigen Unterlagen, welche der Patient vom Pflegeheim mitbekommen hatte und die genaustens auflisteten, wann der Hausarzt in den letzten 10 Jahren welche Medikamente an- und wiederabgesetzt hatte, wie sich der Patient seinen Sterbetage vorstellte und in welchem Rhythmus der Blutdruck gemessen werden sollte.

 „Öh, hier steht der Patient hat einen 50-fach erhöhten Entzündungswerte und 39°C Fieber. Vielleicht ist das ja das Problem?“
„Hmhm“, sagte der Neurologe, er habe da auch schon geschaut verschiedene Untersuchungen angeordnet. Der Patient habe aber im Röntgen keinen Infekt und im Urin keinen Infekt und im Magen/Darmbereich auch nicht.
An diesem Punkt stellte ich fest, dass ich vermutlich doch von meinem Stuhl aufstehen musste. Dies tat ich dann selbstverständlich voller Energie und trat zu Herr Gimbitz in die Kabine. Herr Gimbitz, ein etwas dementer älterer Herr, döste friedlich vor sich hin.
Kluge Internistenfragen beantworte er nicht und ließ sich allenfalls zu einem grummeligen „Meh.“ hinreißen. Ich konnte nachvollziehen, dass der Neurologe sich irgendwie schwer tat und schritt nun zur super Internistenuntersuchung. Lunge, Herz und Bauch präsentierten sich unauffällig. Ich entschloss mich noch zu einem Routineblick auf Herrn Gimbitz Beine, auch wenn ich da jetzt keine Wassereinlagerungen erwartete, denn das ist der Hauptgrund, warum Internisten Beine zu vehement betrachten und energisch versuchen Dellen in die Unterschenkel zu drücken.
Herr Gimbitz Beine warum allerdings wie erwartet recht Wassereinlagerungs-Los, also bis auf das rechte an dem ein großer, roter Fleck prangte, welcher auch weh zu tun schien.
Erysipel oder Wundrose nennt man das. Deswegen auch der Infekt mit Fieber und erhöhten Entzündungswerten und deswegen war Herr Gimbitz auch so müde und verlangsamt.
Ich stelle mir jetzt vor, dass der Neurologe von dieser intelligenten Internistenleistung hochbeeindruckt war. Vermutlich aber nicht. Die restliche Nacht musste er nämlich helfen banale, aber neurologische Probleme internistischer Patienten zu lösen.

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8 Kommentare:

  1. Liebe Frau Zorgcooperations, jetzt muss ich mich doch mal als Neurologin und begeisterte Leserin Ihres Blogs outen. Ich finde, der Neurologe hätte durchaus hochbeeindruckt sein können, denn um seine neurologische Untersuchung komplett durchzuführen, hätte er sehr wohl selbst die Beine des Patienten sehen müssen.... Ich freue mich auf weitere fantasievolle Berichte des unglaublichen Lebens als Assistenzärztin in den weiten des Alls!

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  2. Ah, die genauen Details der Neurologen Untersuchung sind mir nicht immer ganz klar. Neurologische Dinge erscheinen mir ja insgesamt nicht so einfach und ich bewundere dann mit großen Augen was die Neurologen so tun :)

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    1. Nein, nein, immerhin habe wir es nur mit einem Organ zu tun, und Ihr mit so vielen.... ;-)

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  3. Yuhu - es ist wirklich Antwort 5 gewesen. Ein krimineller Rochen. Sehr geil!^^

    Der Rochen (Bild 1) gefällt mir am besten.

    Der Schreibstil in Kombination mit den Bildern ist der Grund, warum ich diesen Blog so mag.(Wobei die Beides auch für sich alleine betrachtet schon hohen Unterhaltungswert hat.)

    Vielen Dank.

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  4. Sehr geehrte/r Anonym vom 6.12.
    Gute Arbeit! Aus ihnen scheint sich ein vielversprechender Arzt zu entwickeln.

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  5. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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