Freitag, 24. Januar 2020

Anti-Wasser-Therapie


Frau Krumpl wurde von ihrem Hausarzt ins Klinikum Beteigeuze geschickt, da sie schlecht Luft bekäme. Man sollte das mal genauer analysieren. Der Aufnahmearzt notierte sich Beinödeme und brodelnde Geräusche über der Lunge, diagnostizierte hieraus eine Stauungspneumonie und schickte Frau Krumpl auf eine Station. 

Mit einem Standard-Antibiotikum verlief die Therapie der Lungenentzündung super. Die entwässernde Therapie war dagegen nicht so der Erfolg. Frau Krumpl schimpfte, wir würden alles nur noch schlimmer machen. Daheim hätte sie NIE Wasser in den Beinen gehabt! Ich wedelte mit dem Aufnahmebogen herum, auf dem groß „BEINÖDEME AUF BEIDEN SEITEN“ stand und auch die Vielzahl an beliebten Wasser- und Blutdruckmedikamenten, welche schon im häuslichen Einsatz der Frau Krumpl waren, widersprachen der Theorie, dass das ein neues Problem war.

Frau Krumpl war mit diesem belehrenden Vortrag jedoch nicht einverstanden und streckte ihrerseits ihre Beine in meine Richtung, an deren Unterschenkeln sich langsam Wasserblasen bildeten. Zugegebener weise hatte sie trotz unserer Supertherapie inklusive Erhöhung der entwässernden Medikation weitere 5 Kilo zugenommen. Ich intensivierte unsere Anti-Wasser-Therapie weiter und belästigte die Kardiologen, man solle doch endlich mal den versprochenen Herzultraschall machen, auf dass wir wüssten was die Ursache der Probleme wäre, vielleicht die vorbekannte Veränderung einer der Herzklappen?

Die echokardiographisch tätigen Kardiologen ließen sich schließlich zu so einer professionellen Ultraschalluntersuchung hinreißen und teilten mir mit: Jop. Alles ist viel schlimmer geworden. Frau Krumpl habe nun eine sehr schwere Verengung einer essentiellen Herzklappe, daher die jetzige Dekompensation mit Wassereinlagerungen. Man müsse das nach medikamenteninduzierter Wasserentfernung unbedingt operieren.

Wir trafen uns nun also alle mit Frau Krumpl und deren Angehörigen um das zu besprechen. Intensives diuretisches Vorgehen mit unseren fancy und hochdosierten Super-Medikamenten und dann dringend OP.

„Jop“, sagte Frau Krumpl, „ich wollte fragen ob sie hier auch Akupunktur machen? So gegen Wasser?“
„Öh nein“, sagte ich, weil von Antiwasserakupunktur hatte ich noch nie gehört. Ganz davon abgesehen, dass dieses Krankenhaus lavendelgetränkte Watte-Schmetterlinge als höchstes der alternativheilkundlichen Gefühle verteilte. Dies wollte ich Frau Krumpl lieber nicht anbieten. Auch riet ich vom Transport zum 100 km entfernten Entwässerungs-Akupunkteur ab, denn Frau Krumpl war in keinem Zustand der täglich stundenlanges Herumgefahre freundlich überstanden hätte, ganz zu schweigen bezüglich der versicherungsrechtlichen Probleme.

Alternativ stellte mir nun Frau Krumpls Sohn eine Sammlung an Schüsslersalzen vor die Nase, ob das denn nicht was wäre. Auch hätte er in diesem Homöopathiebuch verschiedene Globuli und auch andere Medikamente herausgesucht, ob ich das empfehlen könne? Was wäre denn mit dem Strophantin D4? Könne man nicht das geben? Familie Krumpl war sehr höflich, bestand aber nun auf eine naturheilkundliche Beratung. Was würde ich denn nun da empfehlen?!!

Inzwischen fühlte ich mich sehr verwirrt, erklärte das Salz an sich bei Herzinsuffizienz suboptimal wäre und Strophantin sowieso nicht mehr leitliniengerecht sei, wir hätten da bessere Medikamente; bezüglich Schüsslersalzen und Globuli gäbe es auch an sich keine wissenschaftliche Evidenz (abgesehen der Placeboeffekt). Da beides hochverdünnt sei, hätten wir aber, wenn der Wunsch danach bestände prinzipiell kein Verbot derer. 

„Ok“, sagte Frau Krumpls Nichte und schlug das Buch an einer anderen Stelle auf, „was wäre denn dann mit dem Convallaria? Wäre das nicht was?“ Meine Lateinkenntnisse hatten mich schon lange vorher verlassen und ich erklärte, ich würde das mit dem Convallaria nachschauen. Bis dahin würden wir unsere schulmedizinische Antiwassertherapie mit beliebten Diuretika wie Furosemid fortsetzen.

Dies funktioniert nun nach den initialen Problemen sehr ordentlich und ich plante all die präoperativen Untersuchungen für die Herzklappen- Operation, woraufhin mich Frau Krumpl’s anderer Sohn anrief, was denn mit dem Convallaria wäre, ich hätte doch zugesagt, mir das zu überlegen. Glücklicherweise hatte ich dies als professioneller Arzt in diesem Internet nachgelesen Convallaria majalis wären Maiglöckchen, welche prinzipiell herzwirksame Glykoside enthalten. Das von Familie Krumpl angestrebte Maiglöckchenpräparat war jedoch hochhomöopathisch verdünnt, so dass ich nochmals erwähnt, dass es hier keine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus gäbe, aber wenn Familie Krumpl unbedingt ein homöopathisches Mittel anwenden wolle, dann könne man das schon machen und zum Beispiel das Convallaria-Globuli-Präparat nehmen. Frau Krumpls Sohn war sehr erfreut und fragte sofort, was ich denn dann für eine Dosis empfehlen würde. Verzweifelt sagte ich hier, man könne ja mal mit einem Globulus pro Tag anfangen (immerhin ist es dann nicht so teuer!) und schauen, wie Frau Krumpl das äh vertrage.

So machen wir es dann und nach 3 Wochen konnten wir Frau Krumpl erfolgreich zur Herzklappenoperation schicken.