Bekanntlich arbeite ich in einer internistischen Abteilung. Gleichzeitig
auch bekannt als die Abteilung welche das mit den Coronapatienten regelt. Es
begab sich also, dass die Pandemie heranrückte: Nachdem das Gesundheitsamt unser
ambulantes Abstrich-Zentrum für potentiell Coronabefallene übernommen hatte (dessen
Leitung ich gewesen war), ging ich weiter um Dr. Gnembele zu unterstützen.
In einer verwirrenden Aktion hatte man die Stationen der
Klinik durchgetauscht, so dass die immunsupprimierten, onkologischen Patienten möglichst
weit entfernt von unserer neuen Isolationsstation gelagert wurden, die
gleichzeitig Dr. Gnembeles neue Station war. Gnembeles ursprüngliche Patienten,
die eigentlich kein Covid hatten, waren dazu überall sonst auf andere Stationen
verstreut worden.
Dann hatte man die neue Isolationsstation überall mit
Plastikplanen und grünem Gewebeklebeband abgeklebt und vorn neue Plakate
angebracht mit der Aufschrift: Eintreten ist hier nicht erlaubt und wenn sie
das unbedingt tun wollen, dann müssen sie klingeln. Leider hatte die zuvor
gewöhnliche Normalstation keine Klingel, so dass man vor der Tür einen Hocker
platzierte und auf den Hocker ein Nikolausglöckchen stellte, das man nun zu
bimmeln hatte, wenn man Einlass begehrte.
Innen stand Dr. Gnembele mit einer FFP2 Atemmaske und
erzähle verzweifelt, dass er den ganzen Morgen schon Blut abnehmen würde. Die
Blutabnahmedame würde sich nicht reintrauen. Außerdem stände das ganze
Blutabnahmematerial irgendwo verstreut an verschiedenen Orten, da alle Schränke
abgeklebt wären und das Material in Kisten in der neuen Infektionszentrale
stände oder auch im irgendeinem anderen Raum. Außerdem müsse er sich für jedes
Zimmer neu umziehen und draußen vor der Station warte schon der Rettungsdienst
mit potentiell neuen Covidpatienten; die müsse man zudem anschauen.
Ich zog nun auch die klassische Anti-Covid-Ausrüstung an,
trat durch eine Nebentür nach draußen und half dem dort herumspringenden
Oberarzt Patienten zu evaluieren. Waren wir überzeugt, dass dies ein
Coronakandiat war, welcher ein Krankenhaus brauchte, lotste ich diesen direkt
durch die ebenerdigen Türen in sein Zimmer und erledigte dort alle
Aufnahmeformalitäten mit Blutabnehmen, Abstrich machen, alle Formulare
ausfüllen und Röntgen anmelden. Das dauerte alles superlang, siehe o.g. Materialprobleme;
das Astronautenoutfit machte es jetzt auch nicht einfacher.
„Ich möchte auch so eine Schutzbrille wie sie!“ sagte mein
Oberarzt, der die Beurteilungen aus fünf Meter Entfernung supervisierte,
während ich in die Rettungswägen wankte und mich mit hohlem Atemgeräusch durch
eine Taucherbrille starrend über die Patienten beugte.
„Aber“, rief der Patient mit Atemnot, „ich war schon vor 5
Tagen in ihrer blöden Coronazentrale zum Abstrich und das Ergebnis fehlt immer
noch.“ „Das ist normal“, sagte ich, denn zu diesem Zeitpunkt war die maximale
Testkapazität aller angrenzenden Labore weit überschritten. – „Aber der Test meines Freundes ist gestern
fertig gewesen!“ „Hmhm“, sagte ich. „Bekommen sie jetzt schlecht Luft?“ rief
mein Oberarzt von draußen. „Äh ich weiß auch nicht. Aber ich fühle mich sehr
schlecht. Wir nahmen den Patienten auf und warten weitere vier Tage auf das
Testergebnis. Später konnten wir einen Deal mit unserem Coronalabor verhandeln,
bei dem wir auf alle unsere Tests SUPERDRINGEND schrieben und nur noch 24 h auf
ein Ergebnis warten mussten. Daraufhin gingen uns fast die Test-Röhrchen aus,
aber zum Glück konnten wir übriggebliebene Influenzateströhrchen
zweckentfremden.
Am Ende der Woche trat ich in den Wochenenddienst ein, der
von Oberarzt Zom geleitet wurde. Zom war ein exzellenter Facharzt in seinem
internistischen Fachgebiet aber das war leider nicht Covidologie.
„Verbreiten sie mal nicht so viel Panik“ sagte Zom nachdem
die Dienstärztin der Nacht ihrer Übergabe gemacht hatte. „Hä wieso?“ „Jetzt
sagen sie halt nicht dauernd Corona!“ Die Dienstärztin der Nacht hatte zwei Mal
mit ruhiger Stimme dieses Wort erwähnt und floh nun aus der Prämisse. Zom
wanderte daraufhin nervös durch die Covidstation und notierte bei wem er alles
Covid für unwahrscheinlich hielt. Danach ging er schnell heim um mich später
aufgeregt anzurufen, warum ich ihn denn nicht telefonisch über jegliche
Änderungen auf der Covidstation informiert hätte. „Äh sie interessieren sich
sonst auch nie für Patienten außerhalb ihres persönlichen Fachgebietes?“ Nein,
das sagte ich natürlich nicht, sondern „Öh, war halt nicht besonderes?!“
Der weitere Dienst verlief ruhig. Die freundliche
Dienstärztin der Nacht schaute auch extra mit dem Anästhesisten der Nacht vor
dem Schlafengehen noch mal alle Covidpatienten an, denen es aber weiter
ordentlich ging. Oberarzt Zom ärgerte sich jedoch sehr über diese erneute „Panikaktion“
und erklärte dies als persönlichen Angriff auf seine Autorität.
Erfreut Zom los zu sein, trat ich die nächste Woche in den
Dienst und erhielt nun die Aufgabe Dr. Schubertus, der vermutlich an Corona
erkrankt war, auf der Intensivstation zu vertreten. Auf der Intensivstation war
extrem wenig los, denn normale Patienten schienen sich nicht mehr her zu trauen,
die Chirurgen operierten kaum noch und erfreulicherweise hatten wir nur
vereinzelt beatmete Covidpatienten. Diese visitierte ich in ausufernden und
interdiziplinären Visiten mit meiner engagierten Intensivoberärztin und allen
verfügbaren Anästhesisten, die aktuell aufgrund der wenigen OPs auch wenig zu
tun hatten. Danach machte ich bei allen umständliche Ultraschalluntersuchungen der
Lunge und trug das Ergebnis in ein neues Formular ein, das die Uni München mit
der DEGUM erfunden hatte und das ungefähr und ungelogen circa 100 Felder und
Kästen enthielt in die man am besten alle was eintragen sollte. Hmhm.
Meine Nicht-Covid-beteiligte Kollegin auf der Normalstation
für normale Fälle ohne Covid erzählte derweil fröhlich, dass bei ihr auch nur
wenige Patienten wären und sie jetzt endlich mal die Arztbriefe von vor zwei
Jahren erledigt hätte. „Guter Hinweis“ sagte ich und setzte mich an den PC.
Es kam ein neues Wochenende und ich war frohgemut der
Notarzt. Das Krankenhaus hielt sich tapfer mit 2 Isolationsstationen, die nur
so halb voll waren. Sehr gut und da kann nichts schief gehen. Oder so ähnlich
dachte ich, während das nicht-existierende Publikum dachte: „äh… schlechter
Gedanke“
Es war Samstag. Der Rettungsdienst und ich wollten eine Frau
mit starker Luftnot aus ihrer Wohnung retten. Frau Blimp hatte außerdem hohes
Fieber. Bekannt auch als Symptome eines Covid. Als potentieller Covidpatient
verzögert sich die eigene Rettung um ca. 10 min, in denen der Rettungsdienst
und der Notarzt versuchen möglichst schnell möglichst viel Schutzausrüstung
anzuziehen. In diesem Fall zum Beispiel einen komischen Overall für den man
erst mal die Schuhe ausziehen und danach natürlich wieder anziehen musste. Und
eine Kapuze, in und über die man versucht eine FFP2 Maske und eine Schutzbrille
zu integrieren. Möglichst so, dass die Brille nicht beschlägt und man noch
etwas sehen kann. Im Anschluss taumelt man zum Patienten, der einen aufgrund
der Maske nicht wirklich versteht und schreit irgendetwas wie: „WIR NEHMEN SIE
JETZT MIT!“ Ähnlich wie eine Alienentführung. Frau Blimp blieb tapfer, hatte
sie in ihren 80 Lebensjahren doch schon viele seltsame Dinge gesehen. Sie rang
nach Luft während wir sie in unser Auto zerrten, den Sauerstoff höher drehten
und ich in meinem Medikamentenarsenal kramte. Inhalieren war verboten, wegen
Aerosolbildung. Wie dem auch sei, wir konnten alles etwas stabilisieren und fuhren
schnell in die Klinik, wo ich plante Frau Blimp einen netten Platz auf einer
unserer Super-Isolierstationen zukommen zu lassen. Anstatt sich zu freuen, war
der infektiöse Bereich der Notaufnahme voller Menschen: Voller Patienten mit
Fieber und Atemnot, voller Krankenpflegepersonal, das in Vollschutz versuchte
alle zu betreuen. Die Dienstärztin hatte heute den allerersten Wochenenddienst
ihrer Karriere, saß den Tränen nah auf einem Hocker und erklärte mir, sie wolle
nur noch heim. Zwei chirurgische Stationen seien hastig geräumt worden und zu
neuen Isolierstationen umgewandelt worden. Wir hätten damit vier Isolierstationen
und die würden gerade vollgelegt.
Die war zu unserem großen Glück der Beteigeuze Covid-Peak, es
blieb dann bei den vier Isolierstationen und wir konnten mit Unterstützung der
Ärzte aus anderen Fachgebieten in Ruhe alle betreuen.
Zwei bis drei Leute verlegten wir in Plastikschutzhüllen zur
ECMO-therapie. Eine Firma lieh uns Fancy-Schlafapnoegeräte, so dass wir Leute damit
beim Atmen unterstützen konnten und ich montierte nachts um drei besagtes Gerät
zusammen, welches ich bis dahin genau einmal bei einer kurzen Einführungsveranstaltung
in der Hand gehalten hatte. Der Patient war zu unserem Glück sehr geduldig und am
Ende klappte die Atemunterstützung wunderbar.
Trotzdem waren meine folgenden Nachtschichten oft
anstrengend und traurig. In den Zimmern der Isolierstationen lagen die vielen
alten und kranken Patienten, die jetzt auch noch Corona hatten und zwar eines
das schlecht verlief. Hochbetagte Menschen, die man aufgrund des schlechten
Zustandes und der vielen schweren Vorerkrankungen nicht mehr an ein
Beatmungsgerät montieren konnte. Das Ehepaar Zimbele, beide 90 Jahre alt, lagen
im gleichen Zimmer während der Covid wütete. Ihre 24 h Pflegekraft Herr Henni kämpfte
am Beatmungsgerät auf unserer Intensivstation um sein eigenes Leben. Herr Henni
schaffte es. Herr und Frau Zimbele nicht. Das Zimbele Kind haben wir mit
Schutzausrüstung reingelassen bevor das Beerdigungsinstitut Herr und Frau Zimbele
in einem Plastiksack versiegelte und mitnahm.
Inzwischen arbeitet das Krankenhaus mit coolen, englischen
Wörtern an der Exit-Strategie, wir haben viele Tagen keinen Covidpatienten mehr
gehabt und aktuell nur vereinzelte Fälle. Bei einer neuen Welle wissen wir
jetzt wie es geht und hoffen doch, dass es sie nicht geben wird.