Montag, 16. März 2020

Coronaalltag im Prädesaster-Stadium


„Jaja“, sagte Dr. Gnombille, „Verstehe, sie wollen endlich Facharzt werden, aber Ihnen fehlen noch Endoskopien? Also da teilen wir sie auf die Station 611 ein, da ist ja immer wenig los und sie können nebenher ALLE Untersuchungen machen, die ihnen belieben und bald sind sie Facharzt, haha!“ Dr. Gnombille teilte mich glorreich gleich ein und ich konnte mein Glück kaum fassen.

„Haha und guten Morgen“, sagte der Chefarzt, „willkommen zu unserer tollen Frühbesprechung in welcher wir Radiologen bedrängen und der Dienstarzt im Rekordtempo von seinen Erlebnissen berichtet. Wie sie wissen ist ja gerade diese Coronakrise. Nach mehreren geheimen Gesprächen, deren Inhalt geheim ist, haben wir festgestellt: Blöd, aber da müssen wir uns mit diesem Krankenhaus  beteiligen und ein internistischer Arzt muss alle potentiellen Covid19 Fälle betreuen, also entscheiden ob man Abstriche machen, Abstriche an sich machen usw. Äh ja, also wer kann das machen? Am Besten sie Frau Zorgcooperations. Sie sind jetzt ja auf der Station 611, da haben sie bestimmt nichts zu tun und äh herzlichen Glückwunsch, sie sind es jetzt: der Coronaarzt. Viel Spaß.“

Gargh.

Bald wusste ich die beliebtesten Urlaubsziele der Beteigeuzer Lehrerschaft: nämlich Südtirol und wenn nicht das, dann zumindest Mailand, auch bekannt als Coronarisikogebiete. Auch Ärzte gehen gerne dorthin.

Gargh zwei.

Ein Tag als ambulanter Coronaarzt:

Kurz nach 8, winkend verabschiede ich meinen Oberarzt, der jetzt alleine Visite auf Station 611 macht. Er will mir später einen Zettel mit dem Wichtigsten hinlegen (oder auch nicht ähm).

Halb 9 oder so. Vor der Klinik stapeln sich die Verbotsschilder: Betreten verboten, nur Befugte, kommen sie bloß nicht rein, und wenn sie glauben Covid19 zu haben, dann folgen sie diesen roten Pfeilen um die halbe Klinik herum zu einer Extratür, die wir aus einem bodentiefen Fenster gebastelt haben. Warten sie bitte mehrere Stunden lang an jener Stelle bis wir sie drannehmen können zusammen mit anderen potentiell Coronaverdächtigen und wenn sie vorher kein Covid19 hatten, dann ist dies ein guter Ort es zu bekommen.

Innen im Zentrum sind ich und 3 Pflegekräfte. Die Anweisung von RKI und Klinikleitung: Nur Risikopatienten MIT Symptomen abstreichen. Wir haben zu wenig Testkits und das Labor ist superüberlastet. Bis zum Testergebnis warten wir ca. 2 Tage.

Wir haben sogar eine neue Lieferung an flimsigen, nicht passenden FFP2 Masken bekommen. Vielleicht ist aber auch einfach mein Kopf so deformiert. Ich gehe in die Notaufnahme und besorge aus dem Restbestand alter Masken eine, die dicht sitzt und seitlich keine Löcher für fliegende Coronatröpfchen lässt. Vermutlich kommt sowieso bald die Person, die hier in der Klinik Desinfektionsmittel und Schuhe (warum?) klaut und nimmt die Masken mit.

Im Coronazentrum streiken derweil PC und Drucker. Deswegen können wir erstmal gar nicht machen außer mit der IT zu telefonieren („Also von unserer Seite aus funktioniert doch alles?“ – „Gä? Bei uns aber nicht?“) Jeder zu Testende muss nämlich erstmal das wichtigste überhaupt: seine Krankenkasssenkarte abgeben, auf das wir ihn in den PC aufnehmen, 50 Kleber mit seinem Namen ausdrucken und den Hausarzt notieren.

Nun denn nach einer halben Stunde sind wir soweit, die IT hat über Fernwartung Teile der Probleme behoben (ins Zentrum traut sich keiner) und wir sammeln die ersten Patienten. Nach kurzer Befragung: WO waren sie, haben sie einen Covid19 Patient getroffen und haben sie ÜBERHAUPT Beschwerden, entscheiden wir uns für einen Abstrich oder nicht. Dieser Schritt scheint viele Leute zu verwirren, so dass ich bald darauf vor der Klinik stehe und laut rufe: „WIR MACHEN KEINE TESTS, WENN SIE KEINE SYMPTOME HABEN!!!“ Hierauf reduziert sich die Zahl der Wartenden um die Hälfte.

Den Rest schleußen wir nun durch die deutsche Bürokratie. Nach jedem Abstrich fülle ich 4-5 Formulare aus: Erst einen Bogen für die Klinik WARUM in aller Welt ich jetzt den Abstrich gemacht habe, dann einen Überweisungsschein für das externe Labor und außerdem einen Anforderungsschein für dasselbe Labor WAS ich überhaupt will und WANN unser toller Abstrich war. Außerdem brauche wir natürlich einen Meldezettel für das Gesundheitsamt, wer, hier warum was wann hat und wenn der Patient in einem Risikogebiet war, dann bitte auch diesen extra Risikogebietzettel für die Hygieneabteilung (?!?) und das Gesundheitsamt, weil äh so Zettel sind ja immer gut. Dann noch einen Zettel, wer von der Klinik jetzt Kontakt mit diesem Patienten hatte. Am Ende auf alles einen Stempel, haha das wars auch schon, der nächste bitte.

Ich verbringe so den Tag damit 200-300 Zettel auszufüllen und zu unserem großen Glück ist keiner schwer krank, was ein riesiger Pluspunkt ist. Gegen 14.30 Uhr sind die Tages-äh-abstriche erledigt und ich begebe mich mit einem Musmatschgehirn auf meine Station, an deren Eingang ein Schild hängt: „Keine Besuche wegen Corona.“. Die Klinik hat versäumt  eine einheitliche Schilderstrategie  diesbezüglich vorzugeben, so dass ich mich sehr an den kreativen Schilder des Pflegepersonal freue, die von formlosem Besuchsverbot (s.o.) über anschauliche Besuchsverbotsdiagramme bis zu Drohungen gehen, die Polizei einzuschalten, solle man doch wagen diese Station zu betreten.

Bald macht das Gesundheitsamt eine Teststation auf. Wir hoffen auf mehr Ruhe. Oder so ähnlich.