Mittwoch, 27. November 2019

Caca de luna und andere Pilze



„Ja hallo. Meine Frau und ich habe so ein Pilzgericht gegessen und jetzt erbrechen wir uns. Meinen sie das ist schlimm?“ 

„Äh hallo. Was für Pilze waren das denn?“

„Die hat ein Freund von uns gesammelt. Was meinen sie was wir tun sollen?“

„Ja hm. Da ist es wohl besser, sie kommen mal vorbei. Am Besten sie bringen ein paar Pilzreste mit.“

„Ja aber die Pilze sind jetzt alle in so einem Pilzragout gekocht.“

„Können sie vielleicht noch davon etwas bringen?“

„Aber unser Freund und das Pilzgericht wohnen eine Stunde entfernt von uns!“

„Hmhm, vielleicht können sie trotzdem was bringen lassen?“

Ungefähr 2 Stunden später kommen Herr und Frau Kimmele in die Notaufnahme. Unklar ist was sie solange gemacht haben. Pilzreste besorgt auf jeden Fall nicht. Beide leiden unter Erbrechen und Durchfälle. 

Ich versuche mehr Pilzdetails zu ergattern: Steinpilze, Moospilze und Maronenpilze wären es gewesen. Der Freund sei erfahren und hätte bis jetzt immer die richtigen Pilze gesammelt. Allerdings würde er sich nun auch erbrechen. 

Meine komplettes Pilzwissen beschränkt sich im Detail auf die gelbe Lohblüte, welche überraschend im Garten meiner Mutter auftauchte und von mir per Internet notfall-identifiziert wurde, ob deren Gefährlichkeit. (Ein Schleimpilz, der aussieht wie Bauschaum und in Europa als ungenießbar eingestuft wird. In Mexiko nennt man ihn anscheinend liebevoll Caca de luna und grillt ihn. Hmhm.) 

Dieses Wissen ist leider aktuell nicht zielführend. Deshalb rufe ich die Giftnotrufzentrale an, welche mich mit weiteren pilzspezifischen Fragen löchert: Moospilz sei keine korrekte Pilzbezeichung! Und wären die gesammelten Pilze jetzt nur Röhrenpilze oder auch Lamellenpilze gewesen?!!? (Was ist mit Schleimpilzen?!)

Upgedatet in neuer Pilzterminologie versichert man mir, dass Kimmeles Freund eigentlich nur Röhrenpilze sammelt. Die Giftnotrufzentrale vermutet nun ein gastrointestinales Frühsymptom, welches durch verdorbene Röhrenpilze verursacht werden kann und rät mir zu Kohle zum potentiell Toxin binden zu verteilen, auch wenn es dafür schon etwas spät ist.
Sollten die Symptome über 6 h anhalten, empfiehlt mir der Giftnotruf-Pilzexperte aber trotzdem das klassische Anti-Knollenblätter-Pilz-Mittel. Nur für den Fall der Fälle. Silibinin hat einen Handelsnamen der an Herr der Ringe erinnert: Legalon, und ich habe es noch nie benutzt. 
Die Tiefen des Notfallschranks geben aber viel her, unter anderem auch eine Packung Legalon, welches in weißen, pulvrigen Klumpen in braunen Glasfläschchen lagert. Fühle mich wie eine alte Kräuterhexe, während ich darauf warte, was mit Familie Kimmeles Symptomen passiert.

 Frau Kimmele geht es inzwischen wieder gut. Herr Kimmele überschreitet in zu später Stunde das äh Zeitfenster und erhält das Herr-der-Ringe-Medikament.

Noch später erzählt mir Frau Kimmele, dass sie sich nun den Intoxikationsgrund überlegt hätte: Sie wären nämlich zu fünft beim Pilzmahl gewesen. Drei Person der Gesellschafft hätten auch noch den Kartoffelsalat von gestern gegessen: Ihr Mann, sie selbst und der Freund, also denen den es danach schlecht ging. Die anderen beiden, die nur Pilze aber keinen Kartoffelsalat verzehrt hätten, denen ginge es gut. Hmhm.


Samstag, 19. Oktober 2019

So ein banaler 24 h Notarzt-Bereitschaftsdienst:


08.00 Uhr: Ich ergattere das notwendige Notarztzubehör von meinem Vorgänger: Ein Telefon, das nur in der Klinik funktioniert, einen Piepser, das Notarzt-IPad, das Ladegerät für das IPad.
Weil es noch so früh am Morgen ist, schlafe ich erst mal weiter.

11 Uhr: Das Wetter ist schön. Der Alarm piepst: ein Mann sei mit dem Fuß in den Rasenmäher getreten. Der Fuß wäre nun weiß (?!?) und blutüberströmt. Olli, mein Fahrer brettert durch die Landschaft. Auf halbem Weg funkt die Leitstelle: Doch nicht so schlimm, nur eine kleine Abschürfung, die Notfallsanitäter vor Ort hätten das im Griff, kein Notarzt von Nöten. Olli hält erst mal auf einem Parkplatz, damit die Autofahrer, welche wir geradeeben wild überholt haben, unbemerkt an uns vorbeifahren und nicht denken wir wären blöd oder Idioten oder nur zum Spaß da.

15 Uhr: Das Wetter ist immer noch schön. Beim Frauenfußballtunier in der hintersten Ecke von Beteigeuze ist jemand schlimm umgeknickt. Wir fahren gefühlt eine halbe Stunde durch idyllische Landschaft. Wir halten für ein Reh. Der Rettungswagen ruft uns ungeduldig an, wo wir eigentlich blieben. Ich erzähle dem Notfallsanitäter schon mal was er an Schmerztherapie machen kann. Der versteht nur die Hälfte, weil wir fahren ja besonders schnell mit Blaulicht und Trallala. Wiederhole mich circa. 5 Mal damit alles klappt.
Ankunft: Aha, Kniescheibe disloziert, vermutlich mit zusätzlichem Bänderriss.  Schmerzmittel ist ja schon appliziert. Ich appliziere noch mehr davon, und kämpfe mich durch mir nicht vertrautes Fußballerinnenzubehör mit Stollenschuhe und Schienbeinschützer. Wir reponieren die Kniescheibe, schienen alles und fahren den ganzen Weg zurück. „Meinen sie dass ich morgen wieder in meinem fußläufigen-gehintensiven Beruf arbeiten kann?“-„Äh, nein.“

17 Uhr: Es regnet. Herr Michele ist im Altenheim vom Stuhl gefallen. Jetzt habe er starke Rückenschmerzen. Herr Michele ist superdement und hat keinen Plan was ich eigentlich von ihm will oder warum wir um ihn herumspringen. Er liegt am Boden und lächelt freundlich, während ich ihn untersuche: Abschürfungen an den Armen und eine Platzwunde am Hinterkopf. Außerdem tut der Rücken weh, wenn man ihn bewegt. Nach etwas Schmerzmittel lagern wir Herr Michele achsengerecht und alles auf eine Schaufeltrage und dann auf eine Vakuummatratze, um dann dem Altenheim zu entfliehen. Das Personal fängt derweil Herrn Michels beste Freundin ein, die die Gelegenheit nutzt, dass die Tür offen ist.
Der Chirurg schimpft, wir sollen nicht so viele chirurgische Patienten bringen.

21 Uhr: Nachforderung vom Rettungsdienst. Frau Pflein-Plaume hat in einem Pflegeheim gewohnt, da sie einen Schlaganfall hatte. Jetzt habe sie kein Geld mehr und wäre vor einigen Tagen zurück in ihre Mietwohnung gezogen. Heute sei sie schon zwei Mal gefallen. Die Nachbarn hätten den Rettungsdienst alarmiert. Frau Pflein-Plaume will aber nicht in eine Klinik.
Die Wohnung stinkt nach Fäkalien. In der Spüle liegt das schmutzige Geschirr der letzten Tage, auf dem Tisch eine halbverzehrte Mahlzeit in einer Aluschale.
Ich untersuche Frau Pflein-Pflaume. Aufgrund des Schlaganfalls läuft sie unsicher. Sonst fehlt ihr nichts. Das Ganze ist ein organisatorisches Versorgungsproblem.
Wir reden lange auf Frau Pflein-Plaume ein. Frau Pflein-Pflaume ist orientiert, bei sich und sagt repetitiv nein. Sie geht nicht mit in die Klinik! Zwingen können wir sie zu nichts.
Am Ende geben wir zur Sicherheit ihr Handy in die Hosentasche, damit sie jederzeit Hilfe rufen kann und verlassen das Haus mit schlechtem Bauchgefühl. 

01.00 Uhr: Am anderen Ende von Beteigeuze habe sich irgendjemand wohl ganz schrecklich betrunken. Wir fahren erneut eine halbe Stunde durch die dunkle, idyllische Landschaft und illegalerweise (mit Blaulicht vielleicht auch legal) durch diverse Absperrhütchen und eine große Baustelle. Wir halten für noch ein Reh.
Winkende Leute weisen uns ein. In der Wohnung herrscht gepflegte Hysterie. Natascha, 15 Jahre alt oder so hat Geburtstag gefeiert. Dann sei es Jan nicht gut gegangen und jetzt liege er da! Nataschas Mutter erklärt aufgeregt, dass die Kinder doch gar keinen Alkohol bekommen hätten! Natascha weint und schreit. Nataschas Freundin würde gern ein Smartphonevideo machen. Jan stöhnt und macht die Augen auf, wenn man ihn rüttelt. Ich lasse ihn in stabiler Seitenlage liegen, nehme Natascha kurz mit mir in eine Sofaecke: „Habt ihr wirklich keinen Alkohol getrunken?“ – Ja, sie hätten ein Picknick gemacht und wären dann noch bei Nataschas Freundin im Garten gewesen. Prosecco hätten sie getrunken und so ein Cola-Mischgetränk und Wodka auch. „Was?! Wer hat euch Prosecco und Wodka gegeben?!“ Nataschas Mutter ist nicht erfreut.
Immerhin wissen wir jetzt mehr über das Problem von Jan. Der Blutzucker ist in Ordnung, die Vitalparameter auch. Als tugendhafter Junge hat Jan seine Krankenkassenkarte dabei, was immer ein essentieller Punkt im Rettungsgeschehen ist. Weil Jans Eltern 2 h entfernt wohnen, geht Nataschas Mutter mit ins Krankenhaus. Wir packen Jan ein, fahren los und während ich noch denke: „Wie schön, dass er auf dem ganzen Transport nicht erbrochen hat, spuckt Jan beim Einbiegen in die Klinikauffahrt einmal komplett über sich und die Liege; Teile landen auch in der Tüte, die ich und die Notfallsanitäterin verzweifelt vor sein Gesicht drücken. Der Aufnahmearzt freut sich, oder vielleicht auch nicht.
Ich schlafe weiter, stelle aber den Alarmierungs-Piepser von diskreter Vibration auf lautes Piepsen, weil ich Angst habe einen Alarm zu verschlafen.

05.30 Uhr: Der Piepser explodiert mit 100 Dezibel neben mir. Ich falle aus dem Bett, der Adrenalinspiegel am Anschlag (Ich weiß schon, warum dieser Piepser tagsüber auf diskretem Vibrationsalarm eingestellt ist.) „Mann liegt in Schlafsack am Straßenrand.“ „Hä?“ frage ich Fritzi meinen neuer Notarztfahrer, „Wie? Liegt am Straßenrand in einem Schlafsack? Ist er tot? Schläft er?“ Fritzi lässt sich durch dumme Fragen nicht durcheinander bringen. Wir rasen durch den Morgen und erreichen besagte Straße. Die Notfallsanitäter sind zeitgleich angekommen und erspähen einige Zelte in einem Feld. Ist es das? Ein Notfallsanitäter stapft ins Feld. „Die schlafen alle.“ „Hast du keinen geweckt?“ „Nee, habe ich mich nicht getraut.“
Wir fahren weiter die sehr lange Landstraße entlang. „Ah Moment!“ Ich erspähe einen tarnfarben gefleckten Schlafsack, direkt neben der Straße. Das wird es sein. Wir halten und ich knie mich ins nasse Gras. „Guten Morgen? Wir sind vom Rettungsdienst.“ Keine Reaktion. Ich rüttle vorsichtig am Schlafsack. „Machen sie mal die Augen auf!“ Ein erboster Mann mit grauem Militärhaarschnitt schält sich nun aus der Schlafgelegenheit. „Grmpf! WAS SOLL DAS? WAS WOLLEN SIE?!“ Wir stehen inzwischen zu viert um den Mann: 2 Notfallsanitäter, Fitzi und ich.  „Jop“, sage ich, „sie haben halt hier am Straßenrand geschlafen. Da hat sich jemand Sorgen gemacht!“ „NIRGENDWO HAT MAN SEINE RUHE!“ schimpft der Mann während er in seine Stiefel steigt, den Schlafsack in einen Rucksack stopft und quer übers Feld verschwindet.
Wir verschwinden auch wieder. Ich versuche verzweifelt dem Ei-Pad klar zu machen, dass wir zwar „Patienten“kontakt hatten, aber keine Vitalparameter erhoben haben. Diese Option hält das Programm nicht vor. Ich schreibe das Problem im Kommentarfeld auf.

SCHLAFEN!
08.00 Uhr der Folgetag-Notarzt ist da und löst mich ab. Yay! 


Samstag, 21. September 2019

Feuer?

Einmal kam ich zur Nachtschicht. Während ich durch einen praktischen Seiteneingang wanderte, begrüßte mich ein seltsamer Piepston, der in den höheren Stockwerken nachließ, was schön war. Der Tagesarzt sagte, das wäre irgendwie der Feueralarm gewesen, aber er würde jetzt auf jeden Fall gehen; es wäre noch ein Patient angemeldet mit allergischer Reaktion. 

Dann passierte eine Weile nichts und die Schwester sagte zu mir: „Jaja, dein Patient mit der allergischen Reaktion ist ja da, aber sie kommen nicht rein wegen der Aufzüge.“ – „Hä warum?“ – „Ja wegen dem Feueralarm. Da gehen die Aufzüge nicht.“ „!!?.“
 Hier war ich etwas unschlüssig, denn hier im ersten Stockwert, hörte man nichts vom Alarm. Sollten wir irgendwas evakuieren? Oder nicht? War das ein Fehlalarm?

Meine Krankenschwester erklärte nun der Rettungsdienst stände erst mal vor dem Haupteingang und da der Patient nun nicht zu mir konnte, beschloss ich mal lieber selber hin zu gehen.

In der Eingangshalle traf ich auf mehrere Feuerwehrmännern in voller Ausrüstung inklusive Atemschutzmaske. An diesen wanderte ich unbedarft in Turnschuhen und blauem Kasack vorbei,  Aufnahmebogen in der Hand. Vor der Eingangstür stand der Einsatzleitungswagen der Feuerwehr und alle anderen Feuerwehrautos, die es in Beteigeuze so gab. Dazwischen auch unser Rettungswagen mit meiner Patientin. Der ging es gut. Der Notfallsanitäter hatte auf telefonische Anweisung schon Fenistil und Cortison gegeben. Frau Klomp-Juhp hatte daher nur noch einen leichter Ausschlag. Ich fragte Frau Klomp-Juhp ein paar Sachen, untersuchte sie und notiere etwas auf meinem Bogen. Danach standen wir ratlos im Auto herum und ich fragte die Patientin ob sie nicht mit mir zusammen in das Krankenhaus reinlaufen könne. Ihr ging es ja ganz gut.

Wir liefen also rein an allen Feuerwehrleuten vorbei und ich überlegte ob das jetzt die Superidee gewesen war und wir gerade stupide in einen akuten Brand wanderten. Der Alarm war auf jeden Fall aus und niemand rief: ‚Nahain sie laufen direkt ins Feuer!‘ Mehrere Patienten kaufen Eis aus dem Eisautomaten. Die Dame an der Information war auch nicht evakuiert. Ich wertete das als gute Zeichen und lotste Frau Klomp-Juhp über die Treppe in unsere Aufnahme, wo wir sie noch ein bisschen mehr überwachten. Frau Klomp-Juhp freute sich, dass sie eine Kabine mit Fenster erwischt hatte und so der Feuerwehr zusehen konnte. Durch den von ihr bereit gestellten Live-feed erfuhr ich, dass die Feuerwehr nun wieder abrückte, obwohl immer noch niemand zu wissen schien, WAS in aller Welt eigentlich los war.

Hierauf hin bedrängten wir Schwester Margarita, die durch günstige Umstände einen Feuerwehrmann geheiratet hatte. Schwester Margaritas Ehemann schickte pflichtbewusst eine SMS: ein kaputtes Heiß-Wasser-Rohr wäre äh kaputt gewesen. Das habe man nun deaktiviert und alles wäre wieder super.

Daraufhin entließ ich Frau Klomp-Juhp.