Der Nachmittag war nett und ich wanderte durch das
Stationszimmer um einen Zettel irgendwo hinzutragen sowie weitere Zettel aus
meinem Arztfach zu sammeln, deren Ergebnisse ich schon zuvor in
Super-Beteigeuzer-Digital-Programm-für-fortgeschrittene Krankenhäuser gesehen
und abgeklickt hatte.
Hierbei passierte ich den Sammelüberwachungsmonitor, der mir
die gesammelten EKGs aller kürzlich koronarangiographierten Patienten und
sonstig mittelmäßig überwachungsbedürfigen Personen anzeigte, die sich auf
meiner Station befanden, aber nicht so lebensgefährlich bedroht waren, als dass
man sie auf eine Intensivstation deponiert hätte.
Der Monitor zeigte mir das Patient Nummer drei ein besonders
hässliches EKG hatte. So ein „Hargh-schlimmer-Herzinfarkt-EKG“. Da Patient
Nummer dreis Existenz außerdem überraschend kam (vor einer halben Stunde war er
ganz sicher noch nicht da gewesen!) und sein EKG mich auch nicht erfreute,
fragte ich die nächst-stehende Krankenschwester, wer das denn sei und ob das
mit dem EKG äh so Absicht wäre?
„Jaja“, sagte Fachgesundheitspflegerin Anita, „das ist der
Her Glamb, der ist gerade vom Herzkatheter gekommen. Das sei eine schwierige
und wenig erfolgreiche Untersuchung gewesen. Aber mach‘ dir keine Sorgen. Du
musst gar nichts machen! Haha! Der Oberarzt und Kardiologe Blotz kümmert sich
um alles. Das EKG war schon so als der Patient zu uns kam. Der Blotz weiß das. Da
sollst du nichts machen.“
„Na dann“, sagte ich etwas verwirrt, packte alle meine
Papiere auf einen Haufen und das EKG von Herrn Glamb machte einige sehr
unschöne Extra-Zacken. „Ah, bestimmt eine Salve“, dachte ich professionell und
in mehreren Sekundenbruchteilen auch noch Dinge wie: „Das hört gleich wieder
auf. Nein? Ja? Nein? Uh. Oh. Schlecht.“ Eine wilde Wellenlinie begann sich nun
den Monitor entlang zu zacken, welche auch nicht daran dachte sicher selbst zu
beenden. Ein akuter Arzteingriff schien hier nötig. Ich eilte in Herr Glambs
Zimmer. Diese wurde gerade bewusstlos. Schwester Anita, die mir
geistesgegenwärtig gefolgt war, fragte zur Sicherheit: „Dann reanimieren wir
jetzt?“ „Äh ja“ sagte ich halb über dem Bett des Patienten hängend um mit
dieser Reanimation auch gleich zu beginnen: „Bitte den Notfallalarm auslösen,
den Defibrillator aus dem Nebenzimmer holen … und den Oberarzt Blotz auch holen.“
Kurz darauf stürmte das Notfall- und Reanimationsteam der
Intensivstation herbei und löcherte mich mit Fragen, was das denn für ein
Patient sei, was für Erkrankungen er habe und was Mysteriöses denn in diesem Herzkatheter
gewesen wäre, von dem ich immer redete. Hierauf wusste ich keine Antwort, denn
dies war, man erinnere sich, der exklusive Dr. Blotz-du-musst-gar-nichts-machen-Patient.
Es gab auch keine Akte, denn die war auch bei Dr. Blotz. Nachdem nun das
Intensivteam reanimierte, konnte ich diesbezüglich eine Pause machen und gleich
nochmals Oberarzt Blotz anrufen. „Jaja“, sagte Herr Blotz, er sei schon auf dem
Weg und die Akte hätte er auch in der Hand. Zum Glück stabilisierte sich hier
der Zustand von Herrn Glamb, es wurde beschlossen, dass dieser besser in ein herzchirurgisches
Zentrum verlegt werden sollte und bis zum Transportbeginn auf die Intensivstation
für besonders überwachungsbedürftige Notfallpatienten verlegt werden sollte. Dr.
Blotz versprach einen passenden Begleitbrief.
Wir räumten auf und ich sammelte meinen Superpapierhaufen
wieder ein. Dann setzte ich mich fünf Minuten darnieder um mich auch persönlich
zu sammeln. Hier rief Schwester Anita ich sollte doch mal schnell ins Zimmer 10
kommen. Zimmer 10 war kein Überwachungszimmer, sondern ein ganz normales Zimmer
mit normalen Patienten, die an durchschnittlich mitteldramatischen
Herzproblemen litten. Der Zimmer 10 Patient Herr Rimnim lag am Boden. Herr
Rimnim war blau im Gesicht und auch nicht ansprechbar. „Äh also, der
Bettnachbar sagte er ist einfach umgefallen. Sollen wir denn jetzt
reanimieren?“ „Äh“, sagte ich hier, während ich am Boden neben Herrn Rimnim
kniete, der definitiv nicht mehr atmete. Denn: Herr Rimnim war schon 83 Jahre
alt und hatte sehr viele Vorerkrankungen. Andererseits war er heute Mittag noch
fröhlich an mir vorbeispaziert und eigentlich auch nur wegen eines kleineren
Problems bei uns. Ein sofortiges Versterben wäre jetzt sehr überraschend. Da
Herr Rimnim nun aber nicht weniger bewusstlos wurde, war ein längeres Abwägen
nicht sehr hilfreich, so dass ich erneut die Reanimationsbefehle herausgab.
Notfallalarm, den Defibrillator.
Sofort rief mich nun der Intensivarzt an, was denn los wäre.
Wir hätten doch gerade eben erst einen Notfallalarm ausgelöst! Ob ich mir
sicher wäre, dass wir schon wieder ein Reanimationsteam bräuchten? – „Jaja,
tatsächlich so ist das“, sagte ich.
Das Intensivteam erreichte uns ebenso schnell wie zuvor und
auch Dr. Blotz war dabei, der nun ebenso fragte ob wir denn wirklich einen 83
Jahre alten schwer vorerkrankten Mann reanimieren wollten. Eine
Patientenverfügung hatten wir aber nicht und die Durchblätterung der Akte
brachte auch kein diesbezüglich verstecktes Dokument hervor.
Der Anästhesist des Intensivteams fragte nun ungeduldig was
wir denn wollen würden und ob er jetzt intubieren sollte. „Äh ja bitte“, sagten
ich und Dr. Blotz, denn wenn man zu lange wartet und der Patient tot ist, kann
man sich schlecht umentscheiden. Das Intensivteam nahm daraufhin unseren
Patienten mit und ich legte den ursprünglichen Zettelstapel zurück in mein
Fach.
Herr Rimnim kam auf der Intensivstation wieder zu sich,
erklärte, dass ihm das eigentlich alles zu viel sei und verstarb 2 Tage später
friedlich.