Donnerstag, 17. Juni 2021

Mittelmäßig überwachungsbedürftige Patienten...

Der Nachmittag war nett und ich wanderte durch das Stationszimmer um einen Zettel irgendwo hinzutragen sowie weitere Zettel aus meinem Arztfach zu sammeln, deren Ergebnisse ich schon zuvor in Super-Beteigeuzer-Digital-Programm-für-fortgeschrittene Krankenhäuser gesehen und abgeklickt hatte.

Hierbei passierte ich den Sammelüberwachungsmonitor, der mir die gesammelten EKGs aller kürzlich koronarangiographierten Patienten und sonstig mittelmäßig überwachungsbedürfigen Personen anzeigte, die sich auf meiner Station befanden, aber nicht so lebensgefährlich bedroht waren, als dass man sie auf eine Intensivstation deponiert hätte.

Der Monitor zeigte mir das Patient Nummer drei ein besonders hässliches EKG hatte. So ein „Hargh-schlimmer-Herzinfarkt-EKG“. Da Patient Nummer dreis Existenz außerdem überraschend kam (vor einer halben Stunde war er ganz sicher noch nicht da gewesen!) und sein EKG mich auch nicht erfreute, fragte ich die nächst-stehende Krankenschwester, wer das denn sei und ob das mit dem EKG äh so Absicht wäre?

„Jaja“, sagte Fachgesundheitspflegerin Anita, „das ist der Her Glamb, der ist gerade vom Herzkatheter gekommen. Das sei eine schwierige und wenig erfolgreiche Untersuchung gewesen. Aber mach‘ dir keine Sorgen. Du musst gar nichts machen! Haha! Der Oberarzt und Kardiologe Blotz kümmert sich um alles. Das EKG war schon so als der Patient zu uns kam. Der Blotz weiß das. Da sollst du nichts machen.“

„Na dann“, sagte ich etwas verwirrt, packte alle meine Papiere auf einen Haufen und das EKG von Herrn Glamb machte einige sehr unschöne Extra-Zacken. „Ah, bestimmt eine Salve“, dachte ich professionell und in mehreren Sekundenbruchteilen auch noch Dinge wie: „Das hört gleich wieder auf. Nein? Ja? Nein? Uh. Oh. Schlecht.“ Eine wilde Wellenlinie begann sich nun den Monitor entlang zu zacken, welche auch nicht daran dachte sicher selbst zu beenden. Ein akuter Arzteingriff schien hier nötig. Ich eilte in Herr Glambs Zimmer. Diese wurde gerade bewusstlos. Schwester Anita, die mir geistesgegenwärtig gefolgt war, fragte zur Sicherheit: „Dann reanimieren wir jetzt?“ „Äh ja“ sagte ich halb über dem Bett des Patienten hängend um mit dieser Reanimation auch gleich zu beginnen: „Bitte den Notfallalarm auslösen, den Defibrillator aus dem Nebenzimmer holen … und den Oberarzt Blotz auch holen.“

Kurz darauf stürmte das Notfall- und Reanimationsteam der Intensivstation herbei und löcherte mich mit Fragen, was das denn für ein Patient sei, was für Erkrankungen er habe und was Mysteriöses denn in diesem Herzkatheter gewesen wäre, von dem ich immer redete. Hierauf wusste ich keine Antwort, denn dies war, man erinnere sich, der exklusive Dr. Blotz-du-musst-gar-nichts-machen-Patient. Es gab auch keine Akte, denn die war auch bei Dr. Blotz. Nachdem nun das Intensivteam reanimierte, konnte ich diesbezüglich eine Pause machen und gleich nochmals Oberarzt Blotz anrufen. „Jaja“, sagte Herr Blotz, er sei schon auf dem Weg und die Akte hätte er auch in der Hand. Zum Glück stabilisierte sich hier der Zustand von Herrn Glamb, es wurde beschlossen, dass dieser besser in ein herzchirurgisches Zentrum verlegt werden sollte und bis zum Transportbeginn auf die Intensivstation für besonders überwachungsbedürftige Notfallpatienten verlegt werden sollte. Dr. Blotz versprach einen passenden Begleitbrief.

Wir räumten auf und ich sammelte meinen Superpapierhaufen wieder ein. Dann setzte ich mich fünf Minuten darnieder um mich auch persönlich zu sammeln. Hier rief Schwester Anita ich sollte doch mal schnell ins Zimmer 10 kommen. Zimmer 10 war kein Überwachungszimmer, sondern ein ganz normales Zimmer mit normalen Patienten, die an durchschnittlich mitteldramatischen Herzproblemen litten. Der Zimmer 10 Patient Herr Rimnim lag am Boden. Herr Rimnim war blau im Gesicht und auch nicht ansprechbar. „Äh also, der Bettnachbar sagte er ist einfach umgefallen. Sollen wir denn jetzt reanimieren?“ „Äh“, sagte ich hier, während ich am Boden neben Herrn Rimnim kniete, der definitiv nicht mehr atmete. Denn: Herr Rimnim war schon 83 Jahre alt und hatte sehr viele Vorerkrankungen. Andererseits war er heute Mittag noch fröhlich an mir vorbeispaziert und eigentlich auch nur wegen eines kleineren Problems bei uns. Ein sofortiges Versterben wäre jetzt sehr überraschend. Da Herr Rimnim nun aber nicht weniger bewusstlos wurde, war ein längeres Abwägen nicht sehr hilfreich, so dass ich erneut die Reanimationsbefehle herausgab. Notfallalarm, den Defibrillator.

Sofort rief mich nun der Intensivarzt an, was denn los wäre. Wir hätten doch gerade eben erst einen Notfallalarm ausgelöst! Ob ich mir sicher wäre, dass wir schon wieder ein Reanimationsteam bräuchten? – „Jaja, tatsächlich so ist das“, sagte ich.

Das Intensivteam erreichte uns ebenso schnell wie zuvor und auch Dr. Blotz war dabei, der nun ebenso fragte ob wir denn wirklich einen 83 Jahre alten schwer vorerkrankten Mann reanimieren wollten. Eine Patientenverfügung hatten wir aber nicht und die Durchblätterung der Akte brachte auch kein diesbezüglich verstecktes Dokument hervor.

Der Anästhesist des Intensivteams fragte nun ungeduldig was wir denn wollen würden und ob er jetzt intubieren sollte. „Äh ja bitte“, sagten ich und Dr. Blotz, denn wenn man zu lange wartet und der Patient tot ist, kann man sich schlecht umentscheiden. Das Intensivteam nahm daraufhin unseren Patienten mit und ich legte den ursprünglichen Zettelstapel zurück in mein Fach.

Herr Rimnim kam auf der Intensivstation wieder zu sich, erklärte, dass ihm das eigentlich alles zu viel sei und verstarb 2 Tage später friedlich.


 

1 Kommentar:

  1. Oh Gott.... anscheinend sind alle Krankenhäuser gleich... meins ist genau so! :-/

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