Samstag, 15. Mai 2021

Sie wissen ja gar nicht was ich habe.

 

Die Notaufnahme arbeitete um den Faktor 4 gequadrupelt über der geplanten Kapazität. Als Folge dessen war die Klinik voll. Ich hatte seit 7 ½ Stunden keine Pause gemacht. Anmeldende Hausärzte begrüßte ich mit den Worten: „Gerade ist die Wartezeit leider 5h und kann der Patient im Flur liegen?“

Ich betrat nun Kubikel Nummer 8. Herr Knubitzki saß auf dem einzigen Stuhl. Weil ich nicht stehen wollte und unter Spannungskopfschmerzen litt, setzte ich mich auf die Liege.

„Hallo, ich bin der Aufnahmearzt. Zorgcoop…“

„SEIT 5 STUNDEN WARTE ICH!!!“

„Ja, wir sind sehr voll. Ein blöder Tag heute.“

„DAS IST NICHT VERTRETBAR! UND WAS HABE ICH JETZT?! KÖNNEN SIE MIR DAS SAGEN?“

„Ahm. Ich treffe sie jetzt erst. Warum erzählen sie mir nicht erst mal ihre Beschwerden.“

„Mein Bein tut weh und ist geschwollen. Das sieht man doch!!“
Herr Knubitzki trug eine Hose, welche beide Beine verdeckte.

„Hmhm. Seit wann haben sie denn Schmerzen?“
„Ich habe gar keine Schmerzen!“ Huä?

„Ok, seit wann sind die Beschwerden vorhanden.“ – „Zwei Tage! Warum dauert das hier alles so lange?“

„Ich möchte gerne meine Liste an Fragen durch gehen.“ „WAS FÜR EINE LISTE? Ich kenne keine Liste! Was wollen sie mit der Liste?“

„Eine Liste an sinnvollen Fragen, die mir helfen kann, das Problem heraus zu finden.“
„Na gut. Wenn sie unbedingt wollen. Ich habe das Gefühl sie wissen überhaupt nicht WAS ICH HABE!!!“

Mehrere zähe Fragen später und eine wilde Diskussion warum wir eine Kanüle bei Aufnahme gelegt und Blut abgenommen hätten, wollte ich gerne Herrn Knubitzki und besonders das Bein untersuchen. Herr Knubitzki zog sich aus und schimpfte erneut: „Sie wissen ja gar nicht was ich habe! Was für ein Arzt sind sie denn?!“

„Jaja, ich habe schon Vermutungen, aber kann ich jetzt das Bein sehen?“ Das Bein war nicht geschwollen und auch sonst fand ich nichts Auffälliges. Ich wünschte mir nun eine Ultraschalluntersuchung um eine Thrombose auszuschließen.

„WARUM DAUERT DAS ALLES SO LANGE? WAS WOLLEN SIE DENN NOCH ALLES TUN? ICH GEHE JETZT HEIM“

„Natürlich dürfen sie heim gehen“, sagte ich und fügte den bewährten Spruch aller Klinikärzte an, „wir sind hier kein Gefängnis. Den Ultraschall könnten wir aber sofort machen. Der Raum wäre frei und wir könnten das gleich jetzt machen.“

„Hm gut.“

„Öh, wollen sie sich nicht anziehen, während wir in den anderen Raum gehen?“

„Nein, ich habe nicht zu verbergen.“

Herr Knubitzi zog zumindest die Hose an und folgte mir mit freiem Oberkörper durch die komplette Aufnahme zum Ultraschallraum.

„Also wissen sie Frau Doktor, ich will wirklich nicht angeben.“ –„Hmhm.“ – „Die letzten drei Tage, da habe ich es wild mit einer jungen Frau getrieben.“ – „Ah, hmhm.“ – „Und ich bin ja selber nicht mehr der Jüngste. Meinen sie, dass meine Probleme mit der Anstrengung durch diese Betätigung zusammenhängen könnten?“ –„Äh wer weiß. Naja, eine Thrombose ist auf jeden Fall nicht in dem Bein. Ich hätte jetzt noch kurz einen Ultraschall vom Herzen gemacht. Sie meinten ja gerade eben, sie hätten Angst vor einer Lungenembolie und bekämen manchmal schlechter Luft. Drehen sie sich mal so rum. Ok. Ich fasse jetzt mit meinem Arm so um sie…“ – „Ah tut das gut mal wieder in den Arm genommen zu werden.“ –„Hm ok. Ich dachte sie hätten erst die letzten drei Tage mit einer Frau…“ – „Höhö, ich kann halt nicht genug bekommen.“ Gargh.

Die Echokardiographie war unauffällig und ich schlug Herrn Knubitzki vor einen weiteren Blutwert abzuwarten um die Lungenembolie ganz sicher auszuschließen, aber das würde nochmals etwas dauern. Herr Knubitzki sagte ich würde ihm Leid tun, denn ich sähe so gestresst aus. Er habe keine Lust mehr dauernd zu warten und würde jetzt gehen. Ich solle besser mal die Kanüle ziehen. Ich nickte und erläuterte, dass man ihm dann seine Befunde ausdrucken würde und einen Pfleger zum Entfernen der Kanüle käme. Herr Knubitzki erklärte, er wolle unbedingt, dass ich das mit der Kanüle erledigen würde. Hier sagte ich irgendwas blödes wie: „Man kann im Leben nicht alles haben“. Dann ging ich woandershin.