Um 10 Uhr und 25 Minuten erlag Frau Giordano ihren schweren Grunderkrankungen,
welche unter anderem einen Tumor der Niere, Diabetes, eine schwere
Herzinsuffizienz, ein Glaukom des rechten Auges und 20 weitere nicht weiter
aufgeführte Punkte beinhalteten. Kombiniert mit einer großzügigen Lungenentzündung
hatten diese nun zu ihrem Tode geführt. Frau Giordano war außerdem ungefähr 90
Jahre alt, ihr Versterben nicht völlig unerwartet und fand zudem im Beisein
ihres Sohns und der Tochter statt, so dass alles halb so dramatisch war. Dachte
ich.
Dies trug sich
zu auf meiner Station, während ich Visite machte und meinen Visitenwagen hin
und herschob. Ich bestätigte den Tod von Frau Giordano und versprach den
Schwestern in zwei, drei Stunden die zweite Leichenschau zu vollbringen. Frau Giordano
würden wir solange auf der Station lassen, damit sich die Familie noch etwas
verabschieden könne. Ein unglaublich guter Plan. So wie alle meine Pläne.
Drei Stunden
später eilte die Schwester panikartig herbei, ob ich denn nicht bald meine
endgültige und finale Leichenschau vollbringen könne, die Situation laufe gerade
nun so langsam etwas aus dem Ruder und man wolle Frau Giordano möglichst
schnell in die Pathologie im Keller verfrachten.
„Huä, wieso?
Siehst du nicht, ich analysiere gerade dieses äußert wichtige aber völlig
verwackelte Belastungs-EKG, Schwester?! Hier könnte sich zum Beispiel eine neu
aufgetretene ST-Streckenhebung verbergen. Oder aber der Patient ist hier vom
Ergometer gefallen.“
Die Schwester
war aber sehr persistent und in Kürze schlossen sich ihr ein Haufen weiterer
Schwestern an, deswegen legte ich dann das Belastung-EKG weg, das außerdem zu
viele Zacken an falsche Stelle enthielt
und ging hin, das Begehr der Schwestern zu erfüllen. Im Flur traf ich auf vier
aufgelöste vermutlich Enkel Frau Giordanos und dann betrat ich das Zimmer, wo
mich eine Wand an Menschen erwartungsvoll anstarrte. Nicht gewillt eine
öffentliche Leichenschau vor großem Publikum zu performen, erklärte ich, ich
bräuchte, den Raum jetzt für mich alleine. Die Menge nickte respektvoll und
defilierte langsam an mir nach außen: Frau Giordanos Geschwister, Töchter und
Söhne , Leute, die Familie Giordano einfach so Beistand wünschten, fünf kleine
Kinder, drei Babys, zwei Kinderwagen, noch mehr Leute, Enkel und Enkelinnen,
Nichten und Neffen, weitere Leute.
Ich vollbrachte,
was ich vollbringen wollte, ging wieder raus, vorbei an vermutlich 100, naja vielleicht
auch 60 Leuten, die alle ratlos im Flur rumstanden und fragte freundlich ob es
ok, wäre, wenn wir Frau Giordano nun nach unten brächten. Das war es zum Glück und
so verhinderten wir anscheinend die Ankunft weiterer 60 Verwandter, wie mir danach
ein Sohn anvertraute.
Im Anschluss
mussten wir nur noch anderer Patienten Angehöriger Verwirrung beruhigen, ob der
vielen südländisch aussehender Menschen in unserem Flur: Nein! Nein, das wären
keine Asylbewerber gewesen, die gerade eine öffentliche Führung durch das Krankenhaus
erhalten hätten. Ernsthaft.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen