Freitag, 28. Januar 2022

Borts Praxis

 „Also“, sagte mein ehemaliger Kollege Bort, „Willst du nicht in meine Superpraxis in der obskuren Beteigeuzer Umgebung kommen? Wir machen dir auch ein T-Shirt mit deinem Namen drauf.“

Nachdem das Klinik Beteigeuze schon vor einiger Zeit vom einem Vogonen induzierten Cluster übernommen worden war, war es dort in letzter Zeit auch nicht mehr so schön gewesen. Der Chefarzt begann morgendliche Reden zu halten in welchen er uns aufforderte möglichst viele Patienten aufzunehmen, die aber bitte nicht allzu lange bleiben sollten. Also möglichst DRG-Abrechnungs-angepasst. Langzeit-EKGs konnte man dafür nicht mehr so machen, weil es gab nur noch eins fürs gesamte Klinikum (der Rest war gerade kaputt. Für immer.) und vom Ultraschallgerät in der Notaufnahme war seit Monaten der Bauchschallkopf defekt, so dass man sich jetzt immer von einem anderen Gerät einen ausleihen musste, oder wenn das nicht ging, machte man halt einen schlechten Ultraschall mit einem nicht passenden Ultraschallkopf. Mit dem gesparten Geld konnten der Vogonen induzierte Cluster dafür den Eingang freundlicher umgestalten und ein großes Plakat anbringen auf dem stand: „Herzlich willkommen wir sind von Herzen mit unserem Herzen für sie da.“ Mit Symbolherz. In Vogonen Corporate Farben.

Enttäuscht vom geringen Rückgrat unseres Chefarztes und außerdem war ich jetzt ja lange genug da gewesen, dachte ich: „Machst du halt mal was anderes: Der Bort ist ja ein sehr vernünftiger Arzt. Gehst du zu dem.“

Entschlossen überreichte ich dem Chefarzt und der Personalabteilung meine Kündigung. Nach so vier Wochen fragte die Personalabteilung dann nach: „Weiß eigentlich ihr Chef, dass sie gekündigt haben?“
Meine beste-Kollegen-die-man-haben-kann verabschiedeten mich schließlich feierlich und das war wirklich sehr traurig. Die hätte ich gern behalten.

Kurz darauf trat ich also in Borts Praxis an zum Dienst. Man überreichte mir einen Haufen T-shirt auf denen Dr. Zorgcooperations stand und einen komplizierten Einarbeitungsordner auf dem ebenfalls mein Name stand. Dann nahm man mich mit zur Sprechstunde um mich in die Tiefen einer Hausarztpraxis einzuweihen.

Schnell bemerkte ich, wenn man beginnt in einer Praxis im obskuren Umland zu arbeiten, dann hätte man sich potentiell lieber einen Jeep mit Allrad gekauft. Kurz darauf stand ich also an Straßen, die nach oben führten, was im Schnee für diverse LKWs und auch Luxusautos mit Hinterradantrieb unvorteilhaft gewesen war. Zum Umdrehen und wieder Heimfahren war es jetzt auch zu spät, auf der Gegenfahrbahn, auf der man nicht ins Umland sondern ins Zentrum der Beteigeuzer Macht fuhr, steckten unzählig mehr Kraftfahrzeuge fest. Zwischendurch stieg ich aus um den Schnee um mein nicht so großes Auto ohne Allrad aber mit günstigem Vorderradantrieb umzuarrangieren, damit ich weiterfahren konnte. (Diese Autodetails waren mir bis dahin völlig unklar gewesen, aber man hatte mir gleich mehrfach zum klug ausgesuchten Vorderradantrieb gratuliert.)

Angekommen parkte ich in einem schneeverschneiten Parkplatz mit der Option diesen nie wieder zu verlassen. (Zum Glück war dies ein Bergparkplatz und als ich heimwollte, rutschte das Auto der Schwerkraft entsprechend unten am Parkplatz wieder raus; mein Kollege schaufelte sich zum Beispiel eine halbe Stunde lang frei, mit einer Schneeschaufel die für solche Notfälle (?!) in der Praxis bereit gehalten wurde.)

Äh ja.

„Also“ sagte Bort, „dies ist unser Praxissoftwareprogramm für Hausärzte und damit es für uns alle einfacher ist, haben wir ungefähr 1000 Kürzel einprogrammiert, die du benutzen kannst, für Fancy-Textbausteine, Standardrezepte und häufig benutzte Formulare.“ Innerhalb von Sekunden vergaß ich sämtliche Kürzel wieder. Als kluger Arzt legte ich mir daher ein unstrukturiertes Heft zum Kürzel-erinnern an, in dem ich dann bei Bedarf wild herumblätterte. Bevorzugt während der Patient erwartungsfroh auf den Ausdruck seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wartete.

„Hmhm“, sagte ich und versuchte verzweifelt mein falsch angelegtes Rezept zu löschen.

„Hast du schon deine Betäubungsmittelrezepte beantragt?“ fragte mich die Leitung der MFAs. „Öh nein?“ „Ja am besten du beantragst gleich 200 oder so.“ „Ok“, sagte ich und versuchte eine möglichst realistisch aussehende Unterschrift auf meinen Antrag zu kritzeln, während ich in Panik daran dachte wie in Zukunft die Bundesopiumstelle meine Unterschriften auf Ähnlichkeit analysieren würde. Was wenn meine Unterschriften nicht uniform genug wären?? ARGH.

„Aber bei Dr. Bort haben wir immer ein anderes Medikament bekommen, dessen Namen ich nicht weiß und das auch nicht in der Akte steht. Warum können sie das nicht aufschreiben?!“ sagte der Patient empört. „Also Dr. Bort ist heute auch nicht da. Heute bin ich ihr Hausarzt. Warum nehmen wir nicht mal stattdessen dieses neue Supermedikament!“ Grm.

Vielleicht kaufe ich mir einen Schneeschaufel für die Handtasche oder so. 

 

 


Samstag, 18. Dezember 2021

Besprechungen

 Das dimmbare Licht im Ultraschallraum war ausgefallen. Ich saß auf einem kippeligen Hocker, den unser Chef für die bessere Rückengesundheit angeschafft hatte. Das schwächliche Licht des Ultraschallbildschirmes glimmte vor mir, während der Rest des Raumes in nachtschwarz versank.

„Sie habe da eine Zyste in der Niere“, sagte ich zu Frau Bilgamsel, „ich glaube die ist vorbekannt?“

„Ja, ja genau“, sagte Frau Bilgamsel, die ich beultraschallte.

„Und“, fragte Frau Bilgamsel dann, „was halten sie von Besprechungen?“

„Hä was?“ dachte ich verwirrt, „so Meetings?“ „Was meinen sie da genau?“
„Ja so Besprechungen halt. Wissen sie?“
Ich fühlte mich nicht sonderlich wissend, während ich darüber nachdachte, dass ja manche Konferenzen ganz sinnvoll waren und andere vielleicht nicht so: „Hm ich denke das kommt auf die Besprechungen an; was für welche meinen sie denn?“

„Ja, wo man halt so hingeht. Zu so Bauersfrauen und so.“

„….“ (WTF BAUERNFRAUEN?!)

„Da war ich mal. Aber die Bauersfrau sagte mir sie würde nur Gürtelrose besprechen. Da bin ich wieder gegangen.“

Aaaaach so, dachte ich. Dann erklärte ich, dass ich von so Besprechungen nicht so viel halten würde, insbesondere bezüglich Erkrankungen wir Gürtelrose, wo das doch sehr schief gehen könne. Zum Glück fragte Frau Bilgamsel, dann nicht nach einer Referenz für eine passende Bauersfrau bezüglich ihrer Beschwerden.


 

Sonntag, 29. August 2021

3 goldene Teelöffel

Es war schon dunkel als der Notarztpiepser piepste. Pieppieppiep, mehr Alarm. Bitte aufspringen und arbeiten! 3 Kinder hätten zusammen ein Waschmittelgelkissendings einer beliebten Waschmittelmarke verzehrt und jetzt ginge es ihnen schlecht. Mein Notarzt-Tablet führte dann auch gleich auf, dass Kind A nicht mehr richtig ansprechbar wäre, Kind B laut schreien und Kind C sich erbrechen würde.

„Na super“, dachte ich und ob jetzt auch drei Notärzte kämen oder nur ich, aber es sei wohl nur ich, dafür würde man aber drei Rettungswägen hinschicken. Meine bisherige Erfahrung mit dererlei bunten Gelkissen für die persönliche Wäschebetreuung hatte ergeben, dass ein überzeugtes Kind sich nicht von den großartigen Hinweisen: KEINE KINDER! Und SCHAUT AUF DIESE SYMBOLBILD MIT EINEM DURCHGESTRICHENEN KIND!; also das überzeugte Kind lässt sich da nicht davon abhalten, hebelt die Schachtel auf und beißt fröhlich in das Gelkissen. Fragt man sich nur wie man so einen Waschmittelpod jetzt gerecht drittelt auf drei Kinder und schmeckt das nicht sehr unangenehm? Naja die drei Kinder der Familie Binzele hatten das schon hingekriegt.

Wir fanden auch gut hin, weil wir kamen von weiter weg und bei Ankunft standen schon alle drei Rettungswägen und ein Helfer-vor-Ort-Auto außerdem vor Ort, so dass das Haus auf jeden Fall von weitem sehr
gut erkennbar war.

Gerade waren die freundlichen Notfallsanitäter unter Zuhilfenahme der verfügbaren Großmütter dabei, die Binzele-Kinder auf die anwesenden Rettungswägen zu verteilen.

Ich wanderte im Zickzack die verschiedenen Autos ab und sagte „Hallo“ zu Binzele Kind eins, zwei und drei, die sich erfreulicherweise alle von den initialen Problemen der Waschmittelingestion erholt hatten und mich freudig begrüßten. Keines erbrach ich, schrie oder war bewusstseinseingeschränkt. Das Stethoskop wurde interessiert inspiziert; allein Kind 3 protestierte, als es den Schnuller kurz hergeben sollte, damit ich mal kurz in den Mund schaue könnte.

Wir sprachen zur Sicherheit nochmals mit der Giftnotrufzentrale, die uns das gute alte Sab simplex empfahl. Normalerweise bei Blähungen u.ä. eingesetzt, wird es aufgrund der entschäumenden Wirkung auch für Spül- und Waschmittelnotfallsituationen gerne genommen. Da man das ganze sinnvollerweise oral einnehmen sollte, benötigten wir nun einen Teelöffel oder so etwas ähnliches.  Ein gut sortierter Rettungswagen hat auch alles Mögliche, aber keine Teelöffel (zumindest nicht in  Beteigeuze). Es wurde nun die Urgroßmutter eingesetzt, eine ausreichende Anzahl an Teelöffeln zu besorgen.

Kurze Zeit später war ich im Besitz drei goldfarbener Teelöffel und fühlte mich wie eine komische Fee, die versuchte das zähe Sab simplex in einer nicht so langsamen Geschwindigkeit in die Löffel zu tropfen/schütteln. Das erste Binzelekind war supergut erzogen und nahm alles ohne Probleme ein. Währenddessen hatte das Rettungspersonal schon mal den zweiten Löffel vollgetropft, weil das vorhin so langsam ging und der Vorteil war, dass der Löffel jetzt bereit war, der Nachteil war, dass ich den jetzt zum nächsten Rettungswagen rübertransportieren sollte. Und die Sabsimplexflasche. Und mein Tablet. Also vermutlich hätte man das alles strategisch günstiger planen können, aber als ausgebildeter Notarzt kann man natürlich drei Dinge auf einmal (inklusive gefüllter Teelöffel) tragen. Die Binzelekinder 2 und 3 waren ebenso höflich wie Kind 1 und nahmen entgegen meiner Befürchtungen ihre Teelöffel ebenfalls anstandslos zu sich. Da etwas unklar war, ob jetzt nicht doch einer zu Beginn bewusstlos gewesen war,  transportierten wir dann  am Ende alle zur Sicherheit in einem Konvoi zur Klinik.


 

 


 

Donnerstag, 17. Juni 2021

Mittelmäßig überwachungsbedürftige Patienten...

Der Nachmittag war nett und ich wanderte durch das Stationszimmer um einen Zettel irgendwo hinzutragen sowie weitere Zettel aus meinem Arztfach zu sammeln, deren Ergebnisse ich schon zuvor in Super-Beteigeuzer-Digital-Programm-für-fortgeschrittene Krankenhäuser gesehen und abgeklickt hatte.

Hierbei passierte ich den Sammelüberwachungsmonitor, der mir die gesammelten EKGs aller kürzlich koronarangiographierten Patienten und sonstig mittelmäßig überwachungsbedürfigen Personen anzeigte, die sich auf meiner Station befanden, aber nicht so lebensgefährlich bedroht waren, als dass man sie auf eine Intensivstation deponiert hätte.

Der Monitor zeigte mir das Patient Nummer drei ein besonders hässliches EKG hatte. So ein „Hargh-schlimmer-Herzinfarkt-EKG“. Da Patient Nummer dreis Existenz außerdem überraschend kam (vor einer halben Stunde war er ganz sicher noch nicht da gewesen!) und sein EKG mich auch nicht erfreute, fragte ich die nächst-stehende Krankenschwester, wer das denn sei und ob das mit dem EKG äh so Absicht wäre?

„Jaja“, sagte Fachgesundheitspflegerin Anita, „das ist der Her Glamb, der ist gerade vom Herzkatheter gekommen. Das sei eine schwierige und wenig erfolgreiche Untersuchung gewesen. Aber mach‘ dir keine Sorgen. Du musst gar nichts machen! Haha! Der Oberarzt und Kardiologe Blotz kümmert sich um alles. Das EKG war schon so als der Patient zu uns kam. Der Blotz weiß das. Da sollst du nichts machen.“

„Na dann“, sagte ich etwas verwirrt, packte alle meine Papiere auf einen Haufen und das EKG von Herrn Glamb machte einige sehr unschöne Extra-Zacken. „Ah, bestimmt eine Salve“, dachte ich professionell und in mehreren Sekundenbruchteilen auch noch Dinge wie: „Das hört gleich wieder auf. Nein? Ja? Nein? Uh. Oh. Schlecht.“ Eine wilde Wellenlinie begann sich nun den Monitor entlang zu zacken, welche auch nicht daran dachte sicher selbst zu beenden. Ein akuter Arzteingriff schien hier nötig. Ich eilte in Herr Glambs Zimmer. Diese wurde gerade bewusstlos. Schwester Anita, die mir geistesgegenwärtig gefolgt war, fragte zur Sicherheit: „Dann reanimieren wir jetzt?“ „Äh ja“ sagte ich halb über dem Bett des Patienten hängend um mit dieser Reanimation auch gleich zu beginnen: „Bitte den Notfallalarm auslösen, den Defibrillator aus dem Nebenzimmer holen … und den Oberarzt Blotz auch holen.“

Kurz darauf stürmte das Notfall- und Reanimationsteam der Intensivstation herbei und löcherte mich mit Fragen, was das denn für ein Patient sei, was für Erkrankungen er habe und was Mysteriöses denn in diesem Herzkatheter gewesen wäre, von dem ich immer redete. Hierauf wusste ich keine Antwort, denn dies war, man erinnere sich, der exklusive Dr. Blotz-du-musst-gar-nichts-machen-Patient. Es gab auch keine Akte, denn die war auch bei Dr. Blotz. Nachdem nun das Intensivteam reanimierte, konnte ich diesbezüglich eine Pause machen und gleich nochmals Oberarzt Blotz anrufen. „Jaja“, sagte Herr Blotz, er sei schon auf dem Weg und die Akte hätte er auch in der Hand. Zum Glück stabilisierte sich hier der Zustand von Herrn Glamb, es wurde beschlossen, dass dieser besser in ein herzchirurgisches Zentrum verlegt werden sollte und bis zum Transportbeginn auf die Intensivstation für besonders überwachungsbedürftige Notfallpatienten verlegt werden sollte. Dr. Blotz versprach einen passenden Begleitbrief.

Wir räumten auf und ich sammelte meinen Superpapierhaufen wieder ein. Dann setzte ich mich fünf Minuten darnieder um mich auch persönlich zu sammeln. Hier rief Schwester Anita ich sollte doch mal schnell ins Zimmer 10 kommen. Zimmer 10 war kein Überwachungszimmer, sondern ein ganz normales Zimmer mit normalen Patienten, die an durchschnittlich mitteldramatischen Herzproblemen litten. Der Zimmer 10 Patient Herr Rimnim lag am Boden. Herr Rimnim war blau im Gesicht und auch nicht ansprechbar. „Äh also, der Bettnachbar sagte er ist einfach umgefallen. Sollen wir denn jetzt reanimieren?“ „Äh“, sagte ich hier, während ich am Boden neben Herrn Rimnim kniete, der definitiv nicht mehr atmete. Denn: Herr Rimnim war schon 83 Jahre alt und hatte sehr viele Vorerkrankungen. Andererseits war er heute Mittag noch fröhlich an mir vorbeispaziert und eigentlich auch nur wegen eines kleineren Problems bei uns. Ein sofortiges Versterben wäre jetzt sehr überraschend. Da Herr Rimnim nun aber nicht weniger bewusstlos wurde, war ein längeres Abwägen nicht sehr hilfreich, so dass ich erneut die Reanimationsbefehle herausgab. Notfallalarm, den Defibrillator.

Sofort rief mich nun der Intensivarzt an, was denn los wäre. Wir hätten doch gerade eben erst einen Notfallalarm ausgelöst! Ob ich mir sicher wäre, dass wir schon wieder ein Reanimationsteam bräuchten? – „Jaja, tatsächlich so ist das“, sagte ich.

Das Intensivteam erreichte uns ebenso schnell wie zuvor und auch Dr. Blotz war dabei, der nun ebenso fragte ob wir denn wirklich einen 83 Jahre alten schwer vorerkrankten Mann reanimieren wollten. Eine Patientenverfügung hatten wir aber nicht und die Durchblätterung der Akte brachte auch kein diesbezüglich verstecktes Dokument hervor.

Der Anästhesist des Intensivteams fragte nun ungeduldig was wir denn wollen würden und ob er jetzt intubieren sollte. „Äh ja bitte“, sagten ich und Dr. Blotz, denn wenn man zu lange wartet und der Patient tot ist, kann man sich schlecht umentscheiden. Das Intensivteam nahm daraufhin unseren Patienten mit und ich legte den ursprünglichen Zettelstapel zurück in mein Fach.

Herr Rimnim kam auf der Intensivstation wieder zu sich, erklärte, dass ihm das eigentlich alles zu viel sei und verstarb 2 Tage später friedlich.


 

Samstag, 15. Mai 2021

Sie wissen ja gar nicht was ich habe.

 

Die Notaufnahme arbeitete um den Faktor 4 gequadrupelt über der geplanten Kapazität. Als Folge dessen war die Klinik voll. Ich hatte seit 7 ½ Stunden keine Pause gemacht. Anmeldende Hausärzte begrüßte ich mit den Worten: „Gerade ist die Wartezeit leider 5h und kann der Patient im Flur liegen?“

Ich betrat nun Kubikel Nummer 8. Herr Knubitzki saß auf dem einzigen Stuhl. Weil ich nicht stehen wollte und unter Spannungskopfschmerzen litt, setzte ich mich auf die Liege.

„Hallo, ich bin der Aufnahmearzt. Zorgcoop…“

„SEIT 5 STUNDEN WARTE ICH!!!“

„Ja, wir sind sehr voll. Ein blöder Tag heute.“

„DAS IST NICHT VERTRETBAR! UND WAS HABE ICH JETZT?! KÖNNEN SIE MIR DAS SAGEN?“

„Ahm. Ich treffe sie jetzt erst. Warum erzählen sie mir nicht erst mal ihre Beschwerden.“

„Mein Bein tut weh und ist geschwollen. Das sieht man doch!!“
Herr Knubitzki trug eine Hose, welche beide Beine verdeckte.

„Hmhm. Seit wann haben sie denn Schmerzen?“
„Ich habe gar keine Schmerzen!“ Huä?

„Ok, seit wann sind die Beschwerden vorhanden.“ – „Zwei Tage! Warum dauert das hier alles so lange?“

„Ich möchte gerne meine Liste an Fragen durch gehen.“ „WAS FÜR EINE LISTE? Ich kenne keine Liste! Was wollen sie mit der Liste?“

„Eine Liste an sinnvollen Fragen, die mir helfen kann, das Problem heraus zu finden.“
„Na gut. Wenn sie unbedingt wollen. Ich habe das Gefühl sie wissen überhaupt nicht WAS ICH HABE!!!“

Mehrere zähe Fragen später und eine wilde Diskussion warum wir eine Kanüle bei Aufnahme gelegt und Blut abgenommen hätten, wollte ich gerne Herrn Knubitzki und besonders das Bein untersuchen. Herr Knubitzki zog sich aus und schimpfte erneut: „Sie wissen ja gar nicht was ich habe! Was für ein Arzt sind sie denn?!“

„Jaja, ich habe schon Vermutungen, aber kann ich jetzt das Bein sehen?“ Das Bein war nicht geschwollen und auch sonst fand ich nichts Auffälliges. Ich wünschte mir nun eine Ultraschalluntersuchung um eine Thrombose auszuschließen.

„WARUM DAUERT DAS ALLES SO LANGE? WAS WOLLEN SIE DENN NOCH ALLES TUN? ICH GEHE JETZT HEIM“

„Natürlich dürfen sie heim gehen“, sagte ich und fügte den bewährten Spruch aller Klinikärzte an, „wir sind hier kein Gefängnis. Den Ultraschall könnten wir aber sofort machen. Der Raum wäre frei und wir könnten das gleich jetzt machen.“

„Hm gut.“

„Öh, wollen sie sich nicht anziehen, während wir in den anderen Raum gehen?“

„Nein, ich habe nicht zu verbergen.“

Herr Knubitzi zog zumindest die Hose an und folgte mir mit freiem Oberkörper durch die komplette Aufnahme zum Ultraschallraum.

„Also wissen sie Frau Doktor, ich will wirklich nicht angeben.“ –„Hmhm.“ – „Die letzten drei Tage, da habe ich es wild mit einer jungen Frau getrieben.“ – „Ah, hmhm.“ – „Und ich bin ja selber nicht mehr der Jüngste. Meinen sie, dass meine Probleme mit der Anstrengung durch diese Betätigung zusammenhängen könnten?“ –„Äh wer weiß. Naja, eine Thrombose ist auf jeden Fall nicht in dem Bein. Ich hätte jetzt noch kurz einen Ultraschall vom Herzen gemacht. Sie meinten ja gerade eben, sie hätten Angst vor einer Lungenembolie und bekämen manchmal schlechter Luft. Drehen sie sich mal so rum. Ok. Ich fasse jetzt mit meinem Arm so um sie…“ – „Ah tut das gut mal wieder in den Arm genommen zu werden.“ –„Hm ok. Ich dachte sie hätten erst die letzten drei Tage mit einer Frau…“ – „Höhö, ich kann halt nicht genug bekommen.“ Gargh.

Die Echokardiographie war unauffällig und ich schlug Herrn Knubitzki vor einen weiteren Blutwert abzuwarten um die Lungenembolie ganz sicher auszuschließen, aber das würde nochmals etwas dauern. Herr Knubitzki sagte ich würde ihm Leid tun, denn ich sähe so gestresst aus. Er habe keine Lust mehr dauernd zu warten und würde jetzt gehen. Ich solle besser mal die Kanüle ziehen. Ich nickte und erläuterte, dass man ihm dann seine Befunde ausdrucken würde und einen Pfleger zum Entfernen der Kanüle käme. Herr Knubitzki erklärte, er wolle unbedingt, dass ich das mit der Kanüle erledigen würde. Hier sagte ich irgendwas blödes wie: „Man kann im Leben nicht alles haben“. Dann ging ich woandershin.