Donnerstag, 28. Dezember 2017

Privatarzt



Herr Binzel hatte eine billige Privatversicherung oder so etwas ähnliches. In der Notaufnahme hatte man ihm nun essentielle Fragen gestellt, wie: „Seit wann haben sie denn das Fieber?“, „Welche Farbe hat der Schleim, den sie aushusten?“ „Sind sie mit Chefarzt versichert?“
Herr Binzel war hiervon etwas verwirrt und als man ihm den wichtigsten Zettel von allen, den Privatversicherten-Zettel, hinlegte, kreuzte er zur Sicherheit überall ja an. Ja, natürlich wäre er privat versichert. Mit Chefarztarztbehandlung.
Am nächsten Tag wanderte also der Chefarzt mit Chefoberarzt, Chef-Privatassistenzarzt und diversem anderem Chefarztbegleitendem Personal durch Herrn Binzels Zimmer.
Herr Binzel freute sich, es fiel ihm im Anschluss jedoch ein, dass er am Vortag wohl ein Kreuz zu viel gesetzt hatte. Seine Privatversicherung war leider ohne Chefarztbeteiligung und nun drohte ihm eine hohe extra Rechnung. Die Klinikverwaltung hatte Verständnis, der Chefarzt Vertrag wurde storniert und man beorderte einen normalen 08/15 Assistenzarzt zur Betreuung des Patienten herbei.
Ich ging also hin und erzählte irgendetwas wie: „Ja hallo ich bin Frau Dr. Zorgcooperations und ab jetzt ihre zuständige Ärztin.“ Dann betreute ich Herrn Binzel täglich ausführlich. Ich machte Visiten, einen extra Ultraschall und nahm Blut ab. Herr Binzel schien zufrieden zu sein.
Nach drei Tagen sagte nun meine Krankenschwester zu mir: „Haha, vorhin hat sich der Herr Binzel beschwert. Er wäre jetzt schon so lange hier und seit drei Tagen sei kein Arzt mehr da gewesen. Da habe ich gesagt: Aber die Frau Dr. Zorgcooperations die war doch jeden Tag bei ihnen!“ Herr Binzel sei hierauf sehr erstaunt gewesen, dass die mitteljunge Frau, die täglich fragte, wie es ihm ginge, die Medikamente umstellte, das Blut abnahm, den Ultraschall machte und die Befunde mit ihm besprach ein Arzt sein solle. 
Was in aller Welt hatte er denn gedacht das ich sei?! Eine Art Spezial-Krankenschwester?
Grumpelig besuchte ich Herrn Binzel also und erklärte nochmals, dass ich der Arzt wäre. Herr Binzel schien jedoch das Zeremoniell der Chefarztvisite voller ernst schauender, grauhaariger Männer zu vermissen und fragte, ob denn nicht mal auch ein Oberarzt vorbei käme.
„Wir haben einmal in der Woche Oberarztvisite. Da treffen sie unseren Oberarzt morgen.“
„Nur einmal in der Woche?!“ Herr Binzel war enttäuscht und murmelte dann noch, dass es sich da ja überhaupt nicht lohne hier im Krankenhaus zu sein.
„Hmhm“, sagte ich 


Samstag, 9. Dezember 2017

Hey ho die Post ist da!



Ausnahmsweise war es mitten am Tag und high life auf der Intensivstation. Gegen 13 Uhr oder so ähnlich häufte sich der Piepsalarm an Frau Bliebs Beatmungsgerät und die Pflegekräfte dachten sich etwas in der Art: „Öh da stimmt was nicht. Der Arzt muss her.“
„Hmhm“, sagte ich und starrte misstrauisch auf das Beatmungsgerät, welches außer eine Vielzahl an Knöpfen auch einen Touchscreen besaß, welcher lichtempfindlich war und die Helligkeit an seine Umgebung anpasste.
Die Intensivschwester hielt nun einen Monolog an Dingen, die sie selbst versucht hatte, aber von denen nichts funktioniere. Da die Intensivschwester schon ungefähr 30 Jahre auf dieser Station arbeitete und sämtlich Winkelzüge eines solchen Beatmungsgerät mit geschlossenen Augen und ohne Hände beherrschte, fiel mir jetzt auch nichts besseres ein
Ich zückte nun denn mein Super-Arzt-Stethoskop um die Patientin abzuhören und da sich das Atemgeräusch rechts deutlich leiser anhört, machte ich um hier noch etwas mehr Aktionismus zu versprühen einen Ultraschall und verordnete ein sofortiges Röntgen.
Im Anschluss rief ich meinen Oberarzt an (ein beliebter Internisten-Winkelzug), welcher sich nun auch zum piepsenden Gerät und der Patientin begab.
„Hmhm“, sagte der Oberarzt und die Schwester wiederholte o.g. Monolog.
„Ja“, sagte schließlich der Oberarzt, „sie habe ja dieses Röntgen gemacht und in Zusammenbetracht mit ihrem tollen, stethoskopisch erhobenen Befund, liegt vermutlich eine Schleimverlegung der rechten Lunge vor. Lasst uns eine Notfall-Bronchoskopie machen.“
Kurz darauf standen wir nun also im abgedunkelten Zimmer, es ertönten wilder Alarme vom Monitor und Beatmungsgerät und Frau Bliebs Herzkreislauf, der auch nicht der Beste der Welt war, begann nun deutlich zu schwächeln. Die Schwester rannte ein Katecholamin holen, der Oberarzt saugte schimpfend Schleim aus der Lunge ab und ich hing irgendwie halb über dem Patientenbett und assistierte dem Oberarzt in seinem Unterfangen.
Gerade schloss nun unserer Schwester das Kreislauf unterstützende Medikament an, der Oberarzt rief: „Urgh, ein mikrobiologisches Röhrchen für eine Schleimprobe bitte!“ und ich versuchte mit einer Hand den Alarm des Monitors zu bestätigen, da öffnete sich die Zimmertür und der Postbote betrat den Raum.
„Ist das Frau Blieb?“ fragte der Postbote und holte einen Brief aus der gelben Posttasche.
„Öh“, sagten der Oberarzt, die Intensivschwester und ich.
„Ich muss diesen Brief von Gericht persönlich zustellen!“ sagte der Postbote nun ungeduldig.
„Moment“, rief die Intensivschwester, „das ist eine Intensivstation! Wie sind sie hier überhaupt reingekommen!?“
Der Postbote wedelte ungeduldig mit dem Brief.
„Ding-Ding-Ding Superbeatmungs-Alarm!!!“ schrie das Beatmungsgerät.
„Also, jetzt ist gerade schlecht“, sagte ich zum Postboten und half dem Oberarzt einen großen Schleimklotz vom Bronchoskop zu entfernen.
„Aber ich muss diesen Brief persönlich übergeben“, rief der Postbote, entschied dann, dass die Frau im Koma vor ihm wohl die gewünschte Frau Blieb sein musste und er diese ja nun persönlich getroffen hätte. Daraufhin und vermutlich auch, weil die Intensivschwester sich gerade anschickte ihn persönlich zu erwürgen, überreichte er der Intensivschwester besagten Brief und verschwand wieder.
Nach dem Absaugen des Eiterschleims ging es Frau Blieb dann auch beatmungstechnisch wesentlich besser und wir drapierten ihr den Brief freundlich im Nachtkästchen.