Sonntag, 28. Juni 2015

Wissenschaftlich gesehen


Frau Gruhner war schon ziemlich alt. 78 Jahre alt, um genau zu sein. Außerdem war sie so dement, dass sie ihr eigenes Geburtsdatum um ca. 20 Jahre verfehlte und auch der Grund für ihre Anwesenheit in unserem Aufnahmezimmer war der Dame völlig unklar. Herr Gruhner, Sohn und Betreuer, erklärte nun ausführlich: der Mutter gehe es seit Monaten immer schlechter, sie habe wenig Appetit, schlafe viel, wäre noch vergesslicher als sonst, ob wir da nicht mal schauen können was denn los wäre.
Hmhm, ich fragte dann vorsichtig, ob er sich da auch vorstellen könne, dass wir insgesamt nicht mehr viel mit der Mutter veranstalten würden, sie habe ja schon ein recht hohes Alter erreicht und sei zudem deutlich verwirrt und dement?
„Oh nein, nein!“ widersprach Herr Gruhner, „Sie hat ja noch mindestens 5 Jahre zu leben!"
„Huä?“ sagte ich. (Nein das sagte ich nicht, ich schaute nur etwas verwirrt.)
Nun denn, erklärte Herr Gruhner, der Ehemann seiner Mutter sei schließlich 83 geworden!
Nach einer längeren Pause in der ich weiter nichts sagte, verdeutlichte Herr Gruhner den Sachverhalt: „Und wissenschaftlich gesehen, werden Frauen immer älter als Männer.“
„Oh, hmhm“, sagte ich dann und wollte irgendetwas zu Vererbung versus Verheiratung und Statistik erklären, sowie dass das so NICHT funktioniert. Aber Herr Gruhner schaute traurig und hing sehr miserabel auf dem unbequemen Angehörigenhocker des Zimmers, so dass ich dann nicht mehr viel redete und wir nahmen die Mutter ein bisschen auf.


Samstag, 20. Juni 2015

Als ich Sonntagabend der Dienstarzt war - Teil 2



Zurück in der Notaufnahme, erklärte ich Herrn Gukojak das Röntgenbild wäre unauffällig, die Blutwerte auch und vier Tage Husten wäre nichts Schlimmes. Herr Gukojak ging wieder heim. „Welches ist denn nun der nächste Patient?“, fragte ich die Aufnahmeschwester, als eine aufgeregter Mann heranstürzte: „Meine Frau die spuckt Blut!!“ Meine Schwester nickte beruhigend und erklärte mir man habe die Dame schon in eine Aufnahmekabine verfrachtet und hier wären die Blutwerte. „SIE NIMMT BLUTVERDÜNNER!“ rief der Mann aufgeregt neben mir. „Oh“ sagte ich und stellte erleichtert fest, dass der Hämoglobinwerte seiner Frau noch im Normbereich lag. „BLUTVERDÜNNER“, schrie der Mann nochmals aufgebracht. Ich versuchte dem Mann zu erklären, dass wir noch nicht akut besorgt sein müssen, denn wenn er sich hier mal die Blutwerte anschaue… „SIE NIMMT BLUTVERDÜNNER“, brüllte der Mann unverdrossen weiter und ich vermutete er erwartete, ich würde auf diese Aussage hin äh ich weiß nicht, vermutlich die Hände in die Luft werfen und laut schreiend Blutkonserven aus einem Kühlschrank reißen. Naja ich erklärte ich würde das sorgfältig im Auge behalten und welche Medikamente es denn nun wären. „Aspirin!“ sagte der Mann und das war jetzt irgendwie nicht der dramatische Superblutverdünner, den ich mir erwartet hatte. Naja wir nahmen seine Frau zügig auf und dann kümmerte ich mich um die Dame, mit den angeblichen Herzrhythmusstörungen, welche vermutlich vor Wut über ihre lange Wartezeit bald richtige bekommen würde. 

 
Der Chefkardiologe rief an, ob ich schon kontrollierend nach dem Herzinfarktpatienten geschaut hätte. „Bald“; sagte ich und der Chefkardiologe legte nach einigen mahnenden Worten wieder auf.
Dann fand ich heraus, dass die Herzrhythmusstörungspatientin eigentlich nur einen kleinen Infekt hatte, worauf ihr Hausarzt erklärt hatte, dass das vielleicht auch auf Herz schlagen könne (WARUM?! Warum sagst du das Hausarzt?!!) und nun war sie sehr besorgt und kam zu uns. Ich erklärte, dass alles gut wäre. Hier das EKG sei toll und sie habe ja auch keine Beschwerden. Die Frau ging wieder heim.
Die kardiologische Station rief nun an, einer ihrer Patienten habe plötzlich eine Lähmung am Arm entwickelt. Dies hörte sich wichtig an und ich ging hin, wo ich auf einen Patienten traf der gerade einen Schlaganfall hatte. Panikartig besorgte ich mir den nicht weniger beschäftigen neurologischen Dienstarzt und wir zogen den Patienten durchs CT.
Dann rief der kardiologische Chefarzt nochmal an, ob ich denn nun endlich nach unserem Herzinfarktpatienten geschaut hätte?! „Äh nein. Ich wollte aber in fünf Minuten vorbeischauen!“
„Also Frau Zorgcooperations“, sagte der Chefarzt tadelnd, „Was machen sie eigentlich die ganze Zeit?!“

Sonntag, 14. Juni 2015

Als ich Sonntagabend der Dienstarzt war - Teil 1


„Puh“, erzählte mir der Patient bei Visite, „Bin ich froh, dass ich jetzt auf Station bin. In eurer Notaufnahme, da geht es ja zu!“ „Äh ja“, sagte ich und während das letzte Wochenende in meinem Kopf wild aufflackerte konnte ich hier auch nicht wirklich widersprechen:
16 Uhr Sonntag: Die Anzahl anwesender Ärzte bewegt sich am unteren Ende der Skala: Ich las mir meine to-do-Liste durch, auf der 5 Kanülen und ein Ultraschall für Station 22 standen. Die Aufnahmeschwester stapelte währenddessen schon mal vier Aufnahmebögen vor mich hin. Neue Patienten. Ich beschloss mich also erst mal um diese zu kümmern und wanderte zu Herrn Gukojak. Husten. Seit 4 Tagen! „Äh und was erwarten sie sich nun so von uns?“ fragte ich freundlich, aber da klingelte mein Telefon und die Schwester der kardiologischen Station fragte, wann ich denn nun endlich käme um die Kanülen zu legen. Außerdem wären noch zwei EKGs da, die jemand anschauen müsse (und „jemand“ meinte selbstverständlich mich). „Öh, später“, sagte ich, während der nächste Anruf in der Leitung piepste. Der Rettungsdienst, sie kämen mit einem schweren Herzinfarkt. Ich versicherte Herrn Gukojak ich käme gleich wieder und rief den diensthabenden Kardiologen an, auf dass dieser auch käme um einen Herzkatheter beim baldig eintreffenden Patienten zu performen. 



Anschließend organisierte ich alle nötige hierfür und wollte zurück zu Herrn Gukojak, wurde aber von einer jungen Frau aufgehalten, die wütend die Notaufnahme durchquerte. „ICH BIN EIN NOTFALL!“, rief sie aufgebracht, „ICH WARTE SCHON SEIT EINER STUNDE!“ „Herzrhythmusstörungen“, murmelte mir die Aufnahmeschwester und schob mir das EKG der Frau zu, auf dem aber keine Rhythmusstörungen zu sehen waren. „Öhm“, erklärte ich, „wir werden uns das bald anschauen. Haben sie bitte noch etwas Geduld.“ Die Frau war nicht erfreut und ich ging wieder zu Herrn Gukojak. Doch da kam auch schon der Rettungsdienst mit dem schweren Herzinfarktpatienten und ich beschloss Herrn Gukojak erst mal zum Röntgen zu schicken.
So wanderte ich mit ins Herzkatheterlabor, wo der Patient kurzfristig überlegte nun zu sterben, woraufhin wir ihn professionell zurückreanimierten und unser Chefkardiologe zwei große Stents einbaute. „Der hat einen kardiogenen Schock!“ erklärte mir der Chefkardiologe  gewichtig und dass ich ja gut nach ihm (dem Herzinfarktpatienten!) schauen solle. Dann rief die kardiologische Station an, was denn nun mit den Kanülen wäre.
Dann rief die Notaufnahme an, dass inzwischen sieben Patienten warten würden. Ob ich bald fertig wäre?!
Dann rief die gastroenterologische Station an, einer ihrer Patienten wäre aus dem Bett gefallen und ich soll kommen und schauen.
Dann rief ein Gynäkologe an, ich müsse unbedingt einen Ultraschall für ihn machen. „Uh“, sagte ich, „Ultraschall, das kann etwas dauern!“ „So eine Stunde dann?“ fragte der Gynäkologe. „Hm, nein eher so fünf.“ Der Gynäkologe war auch nicht erfreut und ich verlegte den Herzinfarktpatient auf die Intensivstation. „Stündlich!“ rief mir der Chefkardiologe hinterher, „sie müssen stündlich nach ihm schauen!“ Dann ging er wieder nach Hause.

(Fortsetzung folgt)

Samstag, 6. Juni 2015

Es ist kaputt!



In dieser Nacht hatte das Dienstarzthandy endgültig seinen Geist aufgegeben und ich hatte mir nun als das Ersatztelefon der Notaufnahme ausgeliehen.
Dann war es morgen, ich saß in der Morgenbesprechung herum und berichtete über die Patienten der Nacht. „Und als letzter Patient heute Nacht kam Herr Urzglock zu uns mit einer Lungenentzündung und einem Kalium von 6.“ Im Anschluss klingelte mein Ersatztelefon und da ich ja nun fertig berichtet hatte, ging ich auch hin.
„An das Dienstarzttelefon geht niemand ran!“ rief eine aufgeregte Stimme. „Ja“, flüsterte ich leise um die Restbesprechung nicht weiter zu stören, „ich weiß, es ist kaputt.“
Der Chefarzt währenddessen schien nun doch noch Fragen zum berichteten Patienten zu haben und schaute mich vorwurfsvoll an.
„DA GEHT NIEMAN RAN AN DAS DIENSTARZTTELEFON! WISSEN SIE DAS?!“ brüllte der Anrufer unverdrossen weiter. „Es Ist Kaputt!“ erwiderte ich lauter, woraufhin mich nun alle Anwesenden der Besprechung anstarrten.
Der Anrufer begann nun einen langen Vortrag über einen problematischen Patienten auf, den sich bald ein Arzt anschauen solle. Währenddessen schien der Chefarzt weiter darauf zu warten, dass ich nun endlich die Frage zum Patienten beantworten würde.
Der Vortrag meine Anrufer dauerte jedoch weitere zwei Minuten und keine Ahnung was und ob der Chefarzt noch zu mir gesagt hat. Mein nicht sehr leiser Anrufer überdröhnte alles. Auf jeden Fall schienen sie das das Problem dann ohne mich geregelt zu haben und die anderen Besprechungsärzte hörten auch auf mich anzustarren.